„Jeder muss von seiner Hände Arbeit leben können.“ Das sei der dümmste Spruch des Jahres, so kürzlich Professor Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts in München. Und der ist – zumindest nach Urteil der BILD-Zeitung – Deutschlands klügster Ökonom. Am Wochenende hat er nachgelegt. In der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung orakelte er, 1,1 Millionen Jobs würde ein Mindestlohn vernichten. „Der deutsche Neosozialismus ist in der Tat besorgniserregend“, so Herr Sinn. Und Professor Hüther, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, befand gar in BILD AM SONNTAG, bis zu 4 Millionen Jobs seien gefährdet. Schon die Diskrepanz dieser Prognosen wirft ein Schlaglicht auf deren Seriosität. Anlass der Horrorvisionen sind die zwei Gesetzentwürfe zum Mindestlohn, die Arbeitsminister Olaf Scholz am Freitag vorgelegt hat.
Die Gegenargumente dieser Experten sind von provokanter Primitivität: Wessen Lohn derzeit unter der geplanten Mindestlohnschwelle von 7 Euro 50 liegt, dessen Job erklärt man als dem Untergang geweiht. Denn seine Produktivität sei eben zu niedrig, als dass sich daraus ein auskömmlicher Lohn bezahlen ließe. Doch wie misst man wohl die Produktivität einer Krankenschwester, einer Erzieherin, einer Friseuse, eines Steuerberaters oder eines Notars? Die Produktivität solcher Arbeitsplätze aus ihrer heutigen Bezahlung ablesen zu wollen, ist abwegig. Die Löhne im Service-Sector sind weithin bestimmt von Tradition, von Verbandsmacht und von Angebot und Nachfrage auf diesem Arbeitsmarkt. Der internationale Niedriglohnwettbewerb dezimiere die Zahl ungelernter Industriejobs, so Professor Sinn. Doch Deutschland verbucht gerade wieder den höchsten Exportüberschuss der Weltwirtschaftsgeschichte. Der Anteil der Industrie an den Arbeitsplätzen ist hierzulande höher als in allen anderen großen Nationen des Westens.
Der Staat solle aufstocken, wo der Lohn zum Leben nicht reicht. Zitat Professor Sinn: „Es kann den Leuten doch egal sein, zu welchem Prozentsatz der Staat und zu welchem Prozentsatz der Arbeitgeber das Einkommen finanziert, Hauptsache die Summe stimmt und die Stellen sind da.“ Ja, soll den Deutschen das Haarschneiden subventioniert werden und die Hotelübernachtung? Das ist ökonomisch blanker Unsinn. Der Drehtüreffekt solcher Kombilöhne ist bekannt. Jeder, für dessen Lohn der Staat mitzahlt, verdrängt alsbald einen anderen, unsubventionierten Job. Das Resultat ist ein Multimilliardengrab, eine explodierende Staatsverschuldung und ein ordnungspolitisches Desaster. Ansonsten laufen Union, Liberale und ihre Topökonomen doch Sturm gegen jedwede Subventionen. Ein Kneipier, ein Friseurmeister, der aus Anstand seine Leute zumutbar bezahlt, fliegt meist aus dem Markt. Müssen dagegen alle Friseurmeister und Hotels kraft Gesetz zumutbar entlohnen, so werden Kunden deshalb wohl kaum zum Übernachten und Haarschneiden über die Grenzern fliehen.
Dass die Preise nicht die Kosten gespiegelt haben, genau das war Hauptursache für den Ruin des Realsozialismus im Osten. Damit geriet die gesamte Volkswirtschaft in einen Blindflug. Niemand wusste letztlich, ob eine Ware mit Verlust produziert und verkauft wird. Die Folgen waren Vergeudung und Armut. Die Kosten der Arbeitskraft, das sind Löhne, mit denen man zumindest überleben kann. Wer diese Kosten zum Teil dem Staat aufhalsen will, gerade der installiert in der Tat einen dubiosen Neosozialismus. Paradoxerweise sind das derzeit Union und Liberale und deren wirtschaftsnahe Experten. Mindestlöhne – es gibt sie längst in fast allen Staaten Europas – sorgen für kostengerechte Preise und sind deshalb marktwirtschaftlich. Kombilöhne sind das schiere Gegenteil. Und sie führen unaufhaltbar zu weiterem Lohnverfall.
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