Öl und Gas haben wir nicht und auch Erze kaum noch. Deutschlands Zukunft liegt einzig in unserem Können, in Wissenschaft und Bildung. Gebetsmühlenhaft schallt uns das aus den Medien entgegen. Doch beim Anteil der Jungen, die ein Studium aufnehmen, werden wir in der westlichen Welt nur von Mexiko und Belgien unterboten. Die Fehlsteuerung bei den Starthilfen für das Studium ist geradezu hirnrissig. Studenten aus ärmeren Familien erhalten kaum mehr Geld vom Staat als Akademikerkinder. Denn was die Einen an Bafög bekommen fließt den Anderen in Form von Steuervorteilen zu. Das haben der Bundesverband der deutschen Industrie, der Bundesverband der Arbeitgeberverbände, der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und das Institut der deutschen Wirtschaft auf einer Konferenz in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin angeprangert. Mithin hat sich hier die geballte Verbandsmacht der deutschen Wirtschaft für ein neues System der Studienfinanzierung an wohlgewähltem Ort öffentlich in Stellung gebracht. Erstaunlich ist es schon, wenn die Arbeitgeberseite die Privilegierung der Gutbetuchten beklagt und sich für die Ärmeren engagiert. Doch es fehlt absehbar in gefährlichem Ausmaß an Fachkräften. Schon heute verursacht das Defizit an Hochqualifizierten Wertschöpfungsverluste in zweistelliger Milliardenhöhe.
9 von 10 Akademikerkindern studieren. Hier ist das Potential ausgeschöpft. Aus den ärmeren Schichten dagegen wagt sich selbst von denen, die es zum Abitur bringen, nur jeder Zweite an ein Studium. Weil sie wenig von den Eltern dazubekommen können und mehr jobben müssen, ist ihr Studentenleben härter und das Risiko größer, in den Prüfungen oder danach auf dem Arbeitsmarkt ausgesiebt zu werden. Und so will die Wirtschaft die Staatshilfen für das Studium künftig auf die Ärmeren konzentriert sehen. Das klingt zunächst vernünftig.
Zugleich sind unsere Universitäten von einem jahrzehntelangem Sparzwang ausgemergelt. Veraltete Buchbestände, zu wenige Professoren und fehlende Laborplätze sind fast schon die Regel. Noch vor 5 Jahren lagen die Zahlen von Abiturienten und Studienanfängern gleich auf. Heute klafft da eine Lücke von 74 000. Doch die Boulevardpresse schreit nach Steuersenkungen. Und so sollen diese Missstände mit Studiengebühren gemildert werden. Die Wirtschaft dringt bereits auf 1700 € pro Jahr für das Bachelor- und auf 3500 € für das Masterstudium.
Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Das Modell der Arbeitgeber zu einer Reform der Studienfinanzierung entpuppt sich als Spiegelfechterei. Zwar sollen Studenten aus ärmeren Familien um die 100 € mehr bekommen von Staat, doch zugleich um die 200 € Gebühren berappen. Damit sie dennoch gut und rasch durchkommen, sollen sie sich verschulden, mit mindestens 220 € im Monat zu einem Zinssatz von 5 Prozent. Selbst im Idealfall steht der Absolvent dann mit mindestens 13 000 € Schulden da, die zu verzinsen sind. Heute hingegen muss vom Kreditanteil am Bafög maximal 10 000 € zurückgezahlt werden und das zinslos. Soll das im Ernst die große Verbesserung sein, mit der man mehr Menschen aus bildungsfernen Schichten zum Studium verlockt? Ohnehin sind ärmere Familien eher schuldenkonservativ. Studienkredite zu 5 Prozent, die gibt es schon heute von der Kreditanstalt für Wideraufbau. Doch sie werden liegengelassen wie faule Kartoffeln. Nur etwa drei Prozent der Studenten nutzen dieses Angebot der Bundesbildungsministerin.
Auch Akademikerfamilien schwimmen heute oft nicht mehr im Geld. Denen will die Wirtschaft künftig Staatshilfen für das Studium wie Kindergeld und Steuervorteile einschneidend kürzen und verweist sie auf Kredite. 678 € pro Monat hält man hier für erforderlich. Diese Absolventen würden hernach mit über 40 000 € Schulden am Hals plus Zinsen ins Berufsleben starten, wenn die Eltern nicht einspringen.
Deshalb richtet der Vorschlag der Wirtschaft zur Reform der Studienfinanzierung rundum nur Schaden an. Mit dem Versuch, zugleich die Finanznot der Universitäten über Studiengebühren zu mildern, schreckt er vom Studium ab, statt die notwendigen Anreize zu schaffen. Dabei bieten sich wahrlich unschädliche Instrumente an, Absolventen für ihr Studium stärker zur Kasse zu bitten. Doch man sollte erst dann zugreifen, wenn sich ihr Studium versilbert und in dem Maße, wie es sich versilbert. Der ideale Weg wäre eine Akademikersteuer – ein klein wenig mehr Steuerprogression ab einem Gehalt von vielleicht 40 000 € und alles wäre erledigt und das fast bürokratiefrei. Niemand würde mehr von der Angst gelähmt und abgeschreckt, die Schulden einer vielleicht gescheiterten Ausbildung über 20 Jahre aus kargem Gehalt abzahlen zu müssen. Doch dass sich Arbeitgeberverbände für eine auch nur geringfügig höhere Einkommenssteuer ihrer Klientel engagieren – und sei das auch noch so vernünftig – das ist wohl zuviel verlangt.
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