Heute wurden die neuen Befunde zur Arbeitslosigkeit vorgelegt. Schockzahlen sind das noch nicht. Denn was da schon an Krise hereinbricht, das fangen die Firmen momentan meist noch auf über Arbeitszeitkonten, Betriebsferien und Kurzarbeit. Doch was zuerst stirbt, das ist die Hoffnung – die Hoffnung für diejenigen, die noch immer draußen vor sind. Mit einer Kern- oder Restarbeitslosigkeit von drei Millionen gehen wir raus aus diesem Aufschwung Die Chance, zurückzufinden ins Arbeitsleben verflüchtigt sich für allzu viele für Jahre, wenn nicht auf Dauer. Fähigkeiten verfallen und die Selbstachtung auch. Zudem wird zum 1. Januar der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erneut abgesenkt, diesmal auf 2,8 Prozent – just an der Schwelle zu der wohl schwersten Rezession in der bundesdeutschen Geschichte. Ende vorletzten Jahres lag dieser Beitrag noch bei sechseinhalb Prozent. Hat diese Koalition den Bezug zur Wirklichkeit verloren? Die Bundesarbeitsagentur solle jetzt ihre Reserven aufbrauchen, so wird erklärt. Die Kürzung des Arbeitslosengeldes auf nur noch 12 Monate, das war im Boom noch verschmerzbar. Aber jetzt? Auch das Geld für berufliche Förderung wurde binnen drei Jahren halbiert. Doch der Bedarf wird rapide wachsen. Nürnberg verbucht schon in diesem Jahr ein Milliardendefizit.
Dem Volk hat man die Beitragssenkungen zur Arbeitslosenversicherung als große Wohltat verkauft. 1,8 % netto mehr in der Tasche. Der Preis ist der Kahlschlag bei ABM und Qualifizierung und eben die Kürzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Danach ist man auf seine Ersparnisse verwiesen und nach deren Versiegen auf Hartz IV. Und das trifft schon 70 Prozent aller Arbeitslosen. Den Reibach bei dieser Kürzungskaskade, den macht die Wirtschaft. 15 Mrd. € pro Jahr spült das in summa in die Kassen der Unternehmen. Dabei sind die vielbeklagten deutschen Lohnnebenkosten in Europa schon lange nicht mehr außer Proportion. In Frankreich, Italien, Spanien, Österreich, Schweden, Belgien, Tschechien und Ungarn ist ihr Anteil an den Arbeitskosten der Industrie höher als bei uns. Diese Zahlen hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln vorgelegt.
Was in Nürnberg an Geld nicht mehr reinkommt, das kann man auch nicht ausgeben für geförderte Beschäftigung. Und an ungetaner Arbeit fehlt es wahrlich nicht im Lande. So ist in Krankenhäusern und Pflegeheimen das Personal ausgedünnt worden bis an die Risikogrenzen.
Am Freitag läuft das „Gesetz zur Neuordnung arbeitsmarktpolischer Instrumente“ durch den Bundesrat. Immerhin wird künftig eine Ausbildung von Arbeitslosen zur Altenpflege gefördert – ein Lichtblick fürwahr. Ganze zwei Prozent des Geldes für Hartz IV dürfen Jobcenter künftig unter strengen Vorgaben für eine flexible freie Förderung einsetzen. Experten, Verbände und auch die Bundesländer fordern durchweg das Zehnfache. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die ABM-Stellen eben, werden für Hartz-IV-Abhängige ausnahmslos abgeschafft – gegen den entschiedenen Widerspruch von kirchlichen und kommunalen Verbänden und der Länder. Die Angebote in Jugendwerkstätten sind gefährdet. Gestrichen wird die Förderung des für Ostdeutschland wichtigen Jugendwohnheimbaus. Doch fast nichts kommt einer Gesellschaft teurer als die Wut und Destruktionskraft einer Vielzahl junger Menschen, die ihre Identität im sozialen Abseits bilden. Hartz IV deckt kaum das unmittelbare Existenzminimum. Doch kein Widerspruch von Hartz-IV-Empfängern gegen Sanktionen hat künftig noch aufschiebende Wirkung. Dabei bekommt vor Gericht über ein Drittel dieser Widersprüche recht. Unverblümt werden sie zu Arbeitslosen zweiter Klasse herabgewürdigt.
Ein Großteil der seit langer Zeit Arbeitslosen, so erklärt man, habe Vermittlungsprobleme ihres Alter, der Gesundheit oder ihrer Ausbildung wegen. Doch viele sind nicht deshalb lange Zeit arbeitslos, weil sie Vermittlungshemmnisse haben, sondern sie sind schwer vermittelbar, weil sie seit langem arbeitslos sind. Hier muss Politik handeln, rasch und engagiert. Statt dessen werden öffentlich geförderte Jobs drastisch zusammengestrichen.
(Eine deutsche Besonderheit ist die geringe Zahl von Erwerbsunfähigen. Das sind etwa zwei Prozent der Menschen im Arbeitsalter. In England, in Holland und in Schweden sind das fast dreimal soviel. Niemand wird behaupten, diese Völker seien kränker und gebrechlicher. Bildet man die Summe aus Erwerbsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit, dann liegen alle vier Nationen etwa gleichauf. Denn wir legen (seit 8 Jahren) sehr viel strengere Maßstäbe an eine Erwerbsunfähigkeit als Briten oder Holländer. Nur wer keine drei Stunden am Tag mehr arbeiten kann, egal in welchem Job und völlig unabhängig von seiner Qualifikation, nur dem wird volle Erwerbsminderung zuerkannt. Das kann man menschlich hart finden oder auch gut. Wir schieben niemanden so schnell ab in lebenslange berufliche Passivität, als invalide, als wirtschaftlich wertlos, so erklärt man stolz seitens der Politik. Doch gut ist das nur dann, wenn wir diesen Menschen auch eine berufliche Chance bieten. Sie dürfen ihre Chancenarmut auf dem Arbeitsmarkt nicht Jahr um Jahr vom Fallmanager im Jobcenter als persönliches Versagen um die Ohren bekommen. Hier vor allem braucht es Rat, Betreuung und Hilfe, zur Umschulung, zur Eingliederung und als Nachteilsausgleich für Arbeitgeber. Das kostet Geld. Das geht nicht zusammen mit einem knallharten Sparkurs, mit einem Zusammenstreichen der Mittel und der Kappung von geförderten Jobs just zum Krisenbeginn.)
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