Stefan Welzk 10.11.8
Morgen bringt der Bundestag die Erhöhung des Kindergeldes auf den Weg. Doch Kinder von Hartz-IV- und Sozialhilfeempfängern gehen leer aus. Denn ihnen werden die zehn oder 16 € vom Sozial- und vom Arbeitsamt gleich wieder abgezogen. Das ist eine zynische Realparodie auf den Sozialstaat. Die Bedürftigsten bleiben draußen vor.
Vor fünf Jahren hat man ermittelt, was das unbedingt Lebensnotwendige an Waren und Diensten für Erwachsene so kostet. Daraus wurde der Regelsatz Hartz IV bestimmt. Für Kinder ab einem Alter von 14 gibt es 80 Prozent, für die jüngeren 60 Prozent dieses Satzes. Das sind derzeit 211 € im Monat. 2 Euro und 76 Cent sind dabei pro Tag für Essen gedacht, ab 14 Jahren sind es dann dreieinhalb Euro. Das trifft im Osten jedes dritte, im Westen jedes achte Kind. Laut Befund des Forschungsinstituts für Kinderernährung der Universität Bonn ist eine gesunde Ernährung damit nicht möglich.
60 Prozent von der Stütze für Erwachsene, ab 14 Jahren dann 80 Prozent – das ist willkürlich gegriffen, Pi mal Daumen. Einstimmig hat vor einem Jahr schon die Sozialministerkonferenz der Länder erklärt, dieser Regelsatz sei nicht nachvollziehbar, und eine Neubestimmung verlangt. Im Mai hat auch der Bundesrat gefordert, unverzüglich die Unterstützung für Hartz-IV-Kinder neu und diesmal sachgerecht festzusetzen und zwar bis Ende des Jahres. Denn es drohe die Gefahr, dass viele dieser Kinder Kitas und Ganztagsschulen nicht mehr besuchen, weil ihre Eltern das Mittagsessen dort nicht bezahlen können. Doch das aktuelle Gesetz zur Familienförderung unternimmt nichts dagegen.
Hartz-IV-Empfänger haben de facto sogar Einbußen hinzunehmen. Der Regelsatz wurde anhand der Preise von vor fünf Jahren berechnet und soll dem Anstieg der Renten folgen. Doch die wurden über vier Jahre eingefroren – 1,6 Prozent Zuwachs seit 2003 bei einem Preisanstieg von rund 11 Prozent. Für die meisten Rentner ist dieser Kaufkraftverlust schmerzlich, aber er gefährdet noch nicht die bloße Existenz, sofern ihr Einkommen deutlich über Hartz IV liegt. Wer jedoch schon am Existenzminimum lebt, dessen Stütze muss mindestens mit der Inflation Schritt halten. Sonst geht er unter. Noch härter trifft dieser Kaufkraftverlust die Kinder der Armen, da ihre Stütze von vornherein noch karger bemessen ist. Ende Oktober hat das Landessozialgericht Hessen Hartz IV dem Bundesverfassungsgericht zur Normenkontrolle vorgelegt. Denn die Leistungen für Kinder seien weder mit der Menschenwürde noch mit dem sozialen Rechtsstaat vereinbar. Doch erst 2010 will man die Hartz-IV-Sätze für Kinder an die gestiegenen Preise anpassen, und zwar an die Preise von 2008.
Kosten für Bildung und Erziehung sind im Regelsatz für Kinder in Hartz-IV-Familien gar nicht vorgesehen, keine Musikschule und kein Sportverein. Steuerzahler dagegen können – das verlangt das Bundesverfassungsgericht – über 2000 Euro für Erziehung, Betreuung und Ausbildung absetzen. Noch zusätzlich zum steuerfreien Existenzminimum, das mit dem neuen Gesetz um fünf Prozent steigt. Damit darf man pro Kind künftig 6000 Euro pro Jahr absetzen. Das bringt bei Gutverdienenden deutlich mehr als das Kindergeld. Im Klartext: Je höher das Einkommen, desto mehr profitieren die Eltern von der Familienförderung des Staates. Und gerade denen, die es am dringlichsten brauchen, wird Hilfe verweigert. Einmal arm – immer arm. So werden Sozialhilfebiographien erblich.
Dabei braucht es nur einen Federstrich im Gesetz, um auch den Armen die Erhöhung des Kindergeldes zugute kommen zu lassen. Kosten würde das weniger als die Summe, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau der Pleitebank Lehmann Brothers im September aus Dusseligkeit hinterhergeworfen wurde.
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