Bulgarische Impressionen
Unverkennbar war Sofia eine wohlhabende Stadt. Gewiss, viele der alten Bürgerhäuser sind restauriert, doch zahllose andere verfallen. Linden verwandeln die schmalen Straßenschluchten in schattige Alleen. Durch sie drängen sich im Dauerstau die Autokolonnen, darunter eine Unzahl schwarzer Nobelkarossen, Daimler und BMW. Darin sitzen meist Mafiosi und sonstige Abkömmlinge der früheren Nomenklatura, erklärt mein Freund. Einst hatte er mir, dem Ostdeutschen, bei der Flucht mit dem Faltboot übers Schwarze Meer geholfen. Jetzt ist er Professor für Kernphysik an der Universität Sofia und geht mit 450 Euro im Monat nach Hause. Als er Dekan war, bekam er dafür 50 Euro dazu. Die Durchschnittsrente liegt bei 100 Euro. Davon kann keiner leben. Weniges ist billiger als in Deutschland, einige Grundnahrungsmittel und noch die Mieten.
Die Boutiquen um den Vitoscha-Boulevard bieten Mode zu Mondpreisen. Perfekt gestylte Girls stöckeln vorbei, in den Gesichtern Kälte und Angst und ein Übermaß an Make up, Mafia-Bräute eben.
Einst galt Bulgarien als das Preußen des Balkans. Jetzt gilt selbst im Verkehr das Faustrecht. Seit Fällen von Todschlag und brutaler schwerer Körperverletzung streitet sich niemand mehr mit den Männern in den schwarzen Limousinen und den Jeeps um Parkplätze, Vorfahrt oder Unfallschäden. „Kommt ein protzteurer Jeep die Einbahnstraße in der Gegenrichtung runter und parkt im Halteverbot“, so erzählt uns ein befreundeter Verkehrspolizist. „Der Fahrer drückt mir 100 $ in die Hand und befiehlt, auf seinen Wagen aufzupassen. Ich lege mich doch nicht mit einem Mafiosi an. Ich habe das Geld genommen.“
((Eines ist in Bulgarien paradigmatisch geglückt – die Verwandlung der kommunistischen Bonzokratie in die Nouveau Riche eines kalten Kriminalkapitalismus.)) Skrupellos hat sich die Funktionärskaste beim Ausschlachten der planwirtschaftlichen Erbmasse deren Filetstücke als Privatbesitz gesichert. Zu Spottpreisen haben Kolchosvorsitzende Maschinen und Vieh an sich selbst verkauft, Vertriebsnetze monopolisiert und die Bauernschaft gnadenlos zur Ader gelassen. Stasi und sonstige alte Seilschaften krallen sich lukrative Immobilien und bedienen sich unverfroren aus den Staatskassen. Soeben wieder hat die EU Fördergelder gesperrt, nachdem auch der Chef der Straßenbau-Agentur einen Auftrag über 120 Millionen an seinen Bruder vergeben hat. Und von dessen Ehefrau wurden en gros Flächen gekauft, auf denen Autobahnen geplant sind. Im März wurde Innenminister Petkow gefeuert, weil ihm Treffen mit Top-Mafiosi nachgewiesen wurden. Doch einer der mächtigsten Männer der Exkommunisten, die jetzt als „Sozialistischen Partei“ firmieren, ist er noch immer. Mit etwa 25 € wird eine Wählerstimme honoriert, nachzuweisen durch ein Handyfoto des Wahlzettels. Ahmed Dogan, Führer der Türkenpartei erklärte unbefangen, Stimmenkauf sei „Teil der europäischen demokratischen Praxis.
Eine der seltsamsten Verirrungen nach dem Abservieren der Parteimonarchen ist der Mythos vom „guten König“, die Sehnsucht nach einem Ersatzvater. Vor acht Jahren hatte der liberale Premier Ivan Kostov eine Inflation von 1000 Prozent gestoppt und das Land an die EU herangeführt. Doch er wurde zum Risiko für Altkader. So wurde der Sohn des letzten Zaren, Spross des Hauses Sachsen-Koburg, aus spanischem Exil importiert und holte mit einer neuen Partei auf Anhieb fast die absolute Mehrheit im Parlament. „Der wird uns nicht bestehlen, der ist reich“, so dachten die Leute. Doch Herr Simeon Sachs-Koburgotski ließ sich Ländereien und Schlösser im Wert von einigen hundert Millionen, die einst der Krone als Staatsorgan zugeordnet waren, als Privatbesitz überschreiben. Das versprochene Wirtschaftswunder freilich blieb aus. So brachte die nächste Wahl die Kommunisten zurück an die Macht, jetzt in offener Koalition mit dem Ex-Zaren. Entgegen ihrer Wahlpropaganda beließen sie ihm Schlösser und Ländereien. Schließlich war unter ihm das Gesetz zur Ausleuchtung der Stasi keinen Millimeter vorangekommen. „Deal ist Deal“, spottet man in Bulgarien .
Seit der Wende hat das Land fast ein Fünftel seiner Bevölkerung verloren, durch Geburtendefizit und Abwanderung. Und es sind die Jungen und Fähigen, die ihr Heil im Ausland suchen. Rasanter noch als der Reichtum wächst die Armut. Mehrmals tags und nachts wurden unter meinem Fenster die Müllcontainer durchsucht. Und weil die Schrottpreise steigen, werden selbst Telefonleitungen von den Masten geklaut. Und überall auf den Friedhöfen sieht man verschandeltet Grabsteine – Metallbuchstaben, Reliefs und Skulpturen abgeschlagen und an Schrotthändler verkauft.
Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass diese „Sozialistische Partei“ nicht die sozial Schwachen vertritt, sondern die Belange der heute stinkreichen Altkader. Momentan gilt Bojko Borissov als der kommende starke Mann, Oberbürgermeister von Sofia und früher Leibwächter von Parteichef Schivkov. Der kantige Populist ist unberührt von jedweder Intellektualität und liebt Auftritte im Matrosenhemd. Beraten wird er mit seiner neuen Partei von der bayerischen CSU.
Die Hoffnungslosigkeit im Lande ist mit Händen zu greifen. Nicht nur die Preise für Strom, Gas und Benzin steigen rapide. Die Tickets für Sofias schrottreife Straßenbahn verteuern sich jetzt um fast die Hälfte. Doch es regt sich kein Protest mehr. Die Menschen sind erschöpft. Unter den Intellektuellen herrscht Verbitterung. Das ist wahrlich nicht jene freie Gesellschaft, die man sich beim Sturz der Diktatur erhofft hat. War es richtig, dieses Land in die EU aufzunehmen? Es war schiere Notwendigkeit. Sie bietet die einzige Chance, der Korruption und Kriminalität Grenzen zu setzen. Auf dem Dach des alten Zarenpalastes im Zentrum Sofias sind fünf Seile gespannt, als Notenlinien, mit Beethovens „Lied an die Freude“. Ist das Hohn oder verzweifelte Hoffnung?
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