Wer hierzulande über hohe Wohnkosten klagt, der hat meist die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Denn die Mieten sind ziemlich niedrig in Deutschland – so zumindest befinden bestimmte Experten. Manche Mieter in München, Düsseldorf oder Köln mögen das wohl anders sehen. Doch Deutsche geben einen deutlich kleineren Teil ihres Einkommens fürs Wohnen aus als Franzosen oder Amerikaner. Und was man in London noch für die schäbigste Kemenate hinzublättern hat, das bewegen sich außerhalb unserer Phantasie. In den USA brächten Wohnungen eine Rendite um 12 Prozent, so wird von deutschen Finanzmarktprofis dargetan, in Deutschland mit vier bis fünf Prozent nicht einmal halb so viel.
Den Missstand derart niedriger Renditen kann und will man jetzt ändern. Endlich sollen die anderswo mit Wohnungen erreichbaren Gewinnraten auch in Deutschland durchsetzbar sein. Das Instrument dazu soll ein neues Konstrukt von auf die Verwertung von Immobilien spezialisierten steuerlich privilegierten AGs sein – die „Real Estate Investment Trusts“, abgekürzt REITS. Der Monsterbegriff steht im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Um eine Übersetzung ins Deutsche hat man sich nicht bemüht. Dieser neue Typ von Immobilienfirmen soll an die Börse und trotzdem steuerfrei sein, befreit von Körperschafts- und von Gewerbesteuern. Der Gewinn wird jeweils zu über 90 Prozent an die Aktionäre ausgeschüttet. Das ist delikat. Gewinne aus Mieten und Pachten nämlich werden dort versteuert, wo sie anfallen, an dem Ort also, wo das Gebäude steht, Dividenden dagegen am Wohnsitz des Aktionärs. Und wenn der im Ausland residiert – und hinter den Fonds stehen nicht selten Global Player aus den internationalen Finanzmetropolen oder Gesellschaften und Großaktionäre, die off-shore oder wo auch immer jenseits der Grenzen angesiedelt sind – dann geht der deutsche Fiskus oft ziemlich leer aus. Denn die mit den meisten Staaten vereinbarten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) beschränken bei ausländischen Aktionären eine Quellensteuer in der Regel auf 15 Prozent, bei Beteiligungen ab 10 bzw. 25 Prozent gar auf 5, teils auf Null Prozent.
Diese REITS sollen den Wohnungsmarkt völlig umgestalten. Wir haben in Deutschland den größten und modernsten Bestand an Wohnungen in Europa , mit meist solider Bausubstanz und eben niedrige Mieten. Das zieht jetzt Investoren an wie Marmelade die Wespen. Unvermeidbar bewegen sich auf mittlere Sicht die Mieten im Gleichklang mit den Immobilenpreisen. Und die sind im Euro-Raum seit 1995 um die Hälfte nach oben geschnellt. In Spanien und England haben sie sich mehr als verdoppelt. In Deutschland dagegen sind sie gefallen. (Bundestagsdrucksache 15/4300 / Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2004/2005 Ziff.124) Eine der Ursachen mag die Angst vor Arbeitslosigkeit sein. Zu groß fanden viele Familien das Risiko, sich in einer Zwangsversteigerung wiederzufinden. In diese Nachfragelücke stoßen jetzt große Fonds aus London und Übersee. In Scharen durchkämmen deren Agenten derzeit die hiesigen Wohnungsmärkte.
Auch Firmen sollen ihren Besitz an Gebäuden und Flächen den REITS übereignen können, im Austausch gegen deren Aktien. Das schwächt die Fesselung an den Standort. Produktionsverlagerungen fallen um vieles leichter, wenn Gebäude und Grundstücke seit langem schon versilbert und nur noch zurückgeleast sind. Die Bodenständigkeit wird gelöst, die Bodenhaftung wohl auch. Immerhin wird der Immobilenbesitz deutscher Unternehmen im Inland auf 1100 rd. € geschätzt (das entspricht etwa dem halben deutschen Bruttoinlandprodukt eines Jahres). Um Firmen zu motivieren, Grundstücke und Gebäude gegen Aktien dieser REITS einzutauschen, soll ein kräftiger Steuervorteil geboten werden. Meist stehen Grundstücke mit Werten in den Bilanzen, die Jahrzehnte alt sind und bisweilen noch aus der Vorkriegszeit stammen. Ihr aktueller Marktwert liegt dann um ein Vielfaches höher. Werden sie verkauft und damit diese „Stillen Reserven“ realisiert, so muss dieser Wertzuwachs als Gewinn versteuert werden. Werden sie hingegen an diese REITS veräußert, so soll die Hälfte dieses Gewinns künftig steuerfrei sein und der Rest an Steuern darf über vier Jahre abgestottert werden. Das übrigens soll auch der Köder sein für die deutschen Finanzminister, nach dem Motto: „Besser die Hälfte an Steuern jetzt als das Ganze irgendwann später!“ Initiator und treibende Kraft dieser Innovation ist die „Initiative Finanzstandort Deutschland“ (IDF). Mindestens 18 Große aus der Kreditwirtschaft sind dabei und die einschlägigen Verbände. Auch die Bundesbank wirkt mit.
Dafür hat man in beiden großen Parteien Gehör gefunden. Und so wurde im Koalitionsvertrag die Einführung der Real Estate Investment Trusts vereinbart. Unter dem Titel „3.Finanzmarktpolitik“ wird dort ausgeführt: Produktinnovationen und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden. Dazu wollen wir die Rahmenbedingungen für neue Anlageklassen in Deutschland schafften. Hierzu gehören: – Die Einführung von Real Estate Investment Trusts (Reits) unter der Bedingung, dass die verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt wird und positive Wirkungen auf Immobilenmarkt und Standortbedingungen zu erwarten sind …“
Das ist kein leeres Versprechen. In beiden Fraktionen wurden jetzt Unterarbeitsgruppen gebildet, die dieses Projekt prüfen, wobei in der SPD-Fraktion der Focus daruf liegen soll, ob die im Koalitionsvertrag genannten Voraussetzuungen realisierbar sind. Nicht entschieden freilich ist bisher, wie man die Besteuerung beim Anleger zu sichern versuchen will. Genau das ist der Pferdefuß bei dem Ganzen – die Gefahr von enormen Verlusten für die öffentlichen Hände. In Frankreich haben sich mit der Zulassung dieser REITS sogleich 9 von 10 großen Immobilienfirmen in solche verwandelt – als Hauptmotiv wird Steuervermeidung genannt. Prompt sah sich der Staat empfindlich um Steuern geprellt. Denn Großaktionäre hatten Wohnsitz im Ausland.
Um dem Gesetzgeber die Angst vor neuen schwarzen Löchern beim Steueraufkommen auszureden, haben die Chefdenker dieser „Initiative Finanzplatz Deutschland“ zwei Modelle angeboten. Im sog. „Einheitsmodell“ wird festgelegt, dass die REITS mindestens einen festgelegten hohen Anteil am Gewinn, z.B. eben 90 Prozent, an die Aktionäre ausschüttet. Traditionell wird in einer AG von der Hauptversammlung auf Vorschlag des Vorstandes bestimmt, wie viel Gewinn ausgekehrt wird. Weil im Fall der REITS ein auszuschüttender Mindestanteil von vornherein feststeht oder von dem von der Hauptversammlung gewählten Vorstand bestimmt wird und insofern nicht erst nach der und bedingt durch die Hauptversammlung ausgezahlt wird, handle es sich nicht um Dividenden, sondern um „Einkünfte aus anderen Gesellschaftsanteilen“ und sei deshalb im Inland steuerpflichtig. Immerhin räumt die IDF ein: „Da Einheitsmodell … erfordert allerdings die von der IFD entwickelte rechtliche Beurteilung zu teilen und den Abkommenspartnern (der DBAn) die rechtsdogmatische Ableitung nahe zu bringen.“ (http://www.finanzstandort.de/BaseCMP/documents/5000/IFD_Sicherstellung_der_deutschen_Besteuerung_auslaendischer_REIT-Aktionaere_de.pdf).
Darauf haben die deutschen Finanzminister offenbar nicht so recht vertrauen wollen. Und so hat die IDF als Alternative ein „Trennungsmodell“ ausgearbeitet, einen seltsamen Firmenzwitter aus Trust und AG zugleich: Der gesamte Immobilienbesitz eines REITS wird in ein „Sondervermögen“, einen Trust, eingebracht und von der AG verwaltet. „Das Vermögen der AG würde sich dann auf die zur Verwaltung des Sondervermögens erforderliche (Büro-)Sachausstattung … beschränken“. (ibid.) Mit jeder Aktie soll zugleich ein Anteil an diesem Sondervermögen fest verbunden sein. Damit sei der Gewinn aus diesem Anteil am Sondervermögen nicht Dividende, sondern Einkommen aus Immobilienvermögen und dessen Besteuerung in Deutschland auch dann gesichert, wenn der Aktionär auf den Kaimaninseln, in Dublin oder sonstwo residiert. Doch wenn der erste ausländische Großaktionär gegen seine Besteuerung klagt, wird das Gericht hochvermutlich befinden, dass es sich hier offenkundig um Konstruktionen zur Aushebelung oder Umgehung von in zwischenstaatlichen Verträgen (eben den Doppelbesteuerungsabkommen) verbrieften Rechten handelt und deshalb unzulässig sei. Dann freilich kann es zu spät sein, neue Milliardenverluste für die Öffentliche Hand zu stoppen. Man kann nur hoffen und beten, dass Bundestag und Länder bei der Prüfung dieses fiskalisch hochbrisanten Ansinnens sich nicht durch angeblichen Zeit- , Konkurrenz- oder sonstigen Druck von der notwendigen Sorgfalt abbringen lassen und keinen einseitigen Expertisen folgen.
Gravierender noch als die fiskalischen Risiken könnten die Folgen für den deutschen Wohnungsmarkt sein. Der ist bisher von zahllosen oft kleinen Anbietern geprägt. Harter Wettbewerb und Überangebot drücken seit Jahren die Preise. Gerade hier bieten die REITS atemberaubende Perspektiven. Sie wachsen oft schnell. Binnen kurzem könnten einige wenige Firmen regionale Märkte etwa in Ballungszentren beherrschen, dann das Angebot an Wohnungen künstlich verknappen und selbst bei großem Leerstand die Mieten hochtreiben. Das macht vor allem ein Engagement in Berlin und Ostdeutschland attraktiv und kann auf lange Sicht stärker ins Portemonnaie von Familien schlagen als drei Rentenkürzungen oder Mehrwertsteuererhöhungen zusammengenommen.
Inzwischen erlebt der deutsche Wohnungsmarkt einen Ansturm von Investoren. So hat im Ruhrgebiet unlängst Corpus von Morgan Stanley für 2,1 Milliarden Euro Thyssen-Krupp 48 000 Wohnungen abgekauft, die Annington aus London dem Eon-Konzern 152 000 Wohnungen für 7 Mrd. Euro, die Fortress der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte 82000 Wohnungen für 3,5 Mrd. Euro und der Landesbank Nord/LB 30 000Wohnungen für 1,5 Mrd. Euro. Renditeerwartungen von 20 bis 25 Prozent werden berichtet. Die Mieter in Ballungszentren müssten sich auf überproportional hohe Mietsteigerungen einstellen, ließ vor einigen Tagen der Chef der deutschen Annington wissen. Vom Land Berlin wurden 66 000 Wohnungen zum Stückpreis von 32 000 Euro an Cerberus übereignet, eine Firma von Goldman Sachs. ( Ist Nomen hier Omen? Cerberus war jener scheußliche dreiköpfige Köter mit Schlangenschwanz in der griechischen Unterwelt, der den Schatten die Rückkehr ins Leben verwehrt.) Die amerikanische Fortress hat jetzt bekanntlich auch in Dresden zugegriffen, mit 1,7 Milliarden für 48 000 Wohnungen aus Stadteigentum. „Pate bei diesem Geschäft stand die schiere Not,“ schrieb dazu die Süddeutsche Zeitung. Dieser Deal könnte sich für Dresden bald als folgenreich erweisen. Denn die Stadt muss für die Wohnkosten der Hartz IV-Empfänger aufkommen. Das kann teuer werden, wenn sie selbst keinen Wohnraum und auch keinen Einfluss mehr auf die Mietpreise hat. Zunächst müsse der Leerstand an Wohnungen beseitigt werden, ließ denn auch der Chef von Fortress Deutschland wissen.
Die Aufzählung lässt sich lange noch fortsetzen. Zwei Interessen treffen hier aufeinander. Die Öffentlichen Hände sind klamm wie kaum je zuvor, nicht zuletzt infolge der volkswirtschaftlich nutzlosen Absenkungen des Spitzensteuersatzes seit 2001. Auf der anderen Seite geistern Multimilliarden renditesuchend durch die westliche Hemisphäre. An die drei Millionen deutsche Wohnungen sind derzeit noch in Gemeineigentum. Über hundert Milliarden dürften sie allemal wert sein. 900 000 sollen bereits ausländischen Investoren gehören. Der gesamte Immobilienbestand in Deutschland wird auf dreitausend Milliarden Euro geschätzt und gilt den großen Fonds als hochgradig preiswert. In Schwärmen sammeln sich derzeit die Heuschrecken vor den Wohnungstüren. Warum man diesen robusten Boom noch mit Steuervorteilen anfeuern soll, das bleibt unerfindlich – es sei denn, dass ein nackter Lobbyismus auch hier die Feder führt.
Die Stadt Köln übrigens hat vor Jahren von
ihrer Absicht, 40 000 Wohnungen zu verkaufen, Abstand genommen,
aus Angst vor möglichen sozialen Folgekosten. Und München hat der Fortress gerade Anteile an einer Wo-Gesellschaft abgekauft und sich damit die städtische Mehrheit gesichert.
Schreibe einen Kommentar