Wütend stürmte Ingrid Matthäus-Maier aus der Sitzung des Vermittlungsausschusses. Johannes Rau eilte hinterdrein, die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion zu calmieren. Ursache des Ausbruches war die überraschende Zustimmung von Gerhard Schröder zu Helmut Kohls Vorlage, für Amerikas ersten Golfkrieg mit 14 Milliarden Mark zu löhnen und das Geld per Steuererhöhung einzusammeln. Es ist unseriös, zu unterstellen, anderes als eine plötzliche Einsicht in die Nützlichkeit dieser Idee für das Gemeinwohl habe damals Gerhard Schröders Entscheidung geführt. Die Mutter aller Schlachten war schnell zu Ende und jener Golfkrieg billiger als erwartet. Es versteht sich von selbst, dass der Aufschlag bei den Steuern geblieben ist. Brauchen können hat man das Geld allemal.
Der Verweis auf diese Episode lässt ahnen, wie weit man zurückblicken muss, um etwas zu finden, das auch nur in die Nähe des Verdachtes auf einen handfesten politischen Deal gerückt werden könnte. Der Versuch, Baden-Württembergs Zustimmung zur bislang letzten Jahrhundertreform im Gesundheitswesen an zusätzliches Bundesgeld für Stuttgarts neuen Hauptbahnhof zu koppeln, stieß wohl eher auf Belustigung. Im Übrigen ist damals für das rettende Ja zur deutschen Finanzspritze für Amerikas vorletzten Golfkrieg keinerlei Gegenleistung zugunsten von Niedersachsen oder Gerhard Schröder selbst ruchbar geworden. Man darf nicht nur, man muss aus der Parteilinie ausscheren, wenn die Vernunft das gebietet. – Was soll das überhaupt sein – ein Deal? Im Deutschen ist das Wort mit einem Gerüchle behaftet. „Kuhhandel“ oder „Kungelei“ fallen einem ein als Synonyme. Du kriegst das, ich dafür jenes – Tauschhandel eben. Was soll daran anrüchig sein? Oft wird aus einander fremden Sphären getauscht, Werte oder Leistungen, die sich kaum beziffern und deshalb auch nicht so recht gegeneinander aufrechnen lassen. Weder die Landschaftspflege mit dem Scheckheft gehört zur Spezies des politischen Deals noch die Kreation jüdischer Vermächtnisse. Diese Vorgänge bewegen sich im Pecuniären. Man wird sie eher der Klasse kruder Korruptionen zurechnen wollen oder deren Vorhof.
Dass ein Deal zulasten Dritter geht und dieser Dritte das Gemeinwohl ist, das wird seitens einer skandalsüchtigen Mediengesellschaft mit leichter Hand unterstellt. Mandatsträger sind zumindest in der Demokratie dem Gemeinwohl verpflichtet, im Parlament freilich formal nur ihrem Gewissen und real dem Verein, der ob ihrer Wiederkandidatur den Daumen hebt oder senkt. Im Innenpolitischen unterstellt das Misstrauen gegen Deals, jemand habe einer Angelegenheit nicht aus öffentlich vertretbaren Sachgründen zum Durchbruch verholfen, sondern weil im Gegenzug eine seinem Gemüt belangvolle Angelegenheit durchgesetzt wird, die gleichfalls aus Sachgründen allein keine Chance hat. Mit beiden Entscheidungen wird somit das Gemeinwohl geschädigt, mit einer Koalition, die einander fremde Interessen kraft Kumpanei verbindet und durchboxt.
Greifen wir uns zur Illustration zwei eher fernliegende, uns kaum betreffende Deals. Bulgariens Präsident Georgi Pawanov, erklärtermaßen stolz auf seine früheren Arbeiten im Auftrag der Stasi, hat sich für seine Wiederwahl im letzten Oktober die Stimmen der türkischen Minderheit gesichert. Im Gegenzug nötigte er seine Partei, die Sozialisten (die frühere KP), die Türkenpartei, obgleich die für eine Mehrheit im Parlament gar nicht vonnöten ist, als dritten Partner in eine große Koalition aufzunehmen und ihr das Landwirtschaftsministerium zu überlassen, wo der Löwenanteil der EU-Gelder verteilt wird. Man spottet in Bulgarien, ohne türkische Sprachkenntnisse sei jedes Bemühen um eine EU-Förderung schlicht chancenlos. – Der Chef der Vorgängerregierung, der aus 55jährigem Exil wieder eingereiste Ex-Zar Simeon II von Sachsen-Coburg und Gotha alias Sakskoburgotski verfügt inzwischen über bulgarisches Vermögen von etwa 200 Mio. € aus „Restitution“ von Liegenschaften, auf die seine früheren Besitztitel rechtlich heftig umstritten sind. Im Wahlkampf hatten die Sozialisten lautstark die Überprüfung dieser Aneignungen gefordert. Seit sie an der Macht sind, ist davon nichts mehr zu hören. Herr Sakskoburgotski hatte als Premier zuletzt ein Gesetz zur Offenlegung von Stasiakten de facto gestoppt. Gemunkelt wird viel.
Auf dem Spielfeld der Außenpolitik ist dasjenige, dem man die Qualität eines Deals zuerkennt, oft mit einer gewissen Anrüchigkeit, einem Ehrbarkeitsverstoß behaftet, der es als angezeigt erscheinen lässt, die Sache nicht publik werden zu lassen. Ein ziemlich vergessener pikanter Fall war das Agreement der Sowjetunion mit dem südafrikanischen Diamantenkonzern de Beers, der den Weltmarkt voll unter Kontrolle hatte (und wohl noch hat) und mit künstlicher Knappheit die Preise hochzuhalten verstand. Doch in den 60ern wurden in Sibirien riesige Diamantenvorkommen erschlossen. Es drohte ein Zusammenbruch der Preise. Harry Oppenheimer, Chef von de Beers, erklärte den Russen: „Ein einziger Verkaufskanal ist im Interesse aller Diamantenproduzenten, was auch immer die politischen Differenzen zwischen ihnen sein mögen.“ Die Sowjetunion willigte ein, alle ihre ungeschliffenen Diamanten de Beers zu verkaufen, unter der entscheidenden und strikten Bedingung, dass diese Vereinbarung absolut geheim bleibt. Schließlich hatte man sich zum totalen Handelsembargo gegenüber dem Apartheids-Regime verpflichtet. Die gesamte mit hohem Ressourceneinsatz vorangetriebene Entwicklungshilfe der Sowjetunion und ihr stetes keineswegs erfolgsarmes Werben um geopolitische Partner in der südlichen Hemisphäre wäre diskreditiert gewesen.
Die Unterstützung der USA für die Taliban zur Vertreibung der Sowjets, die dem Indischen Ozean beunruhigend nahe gekommen waren, und für Saddam Hussein und seinen Dauerkrieg mit den Ayatollahs um persisches Öl („Keep Iran bleeding!“) hingegen waren nicht allzu geheim. Beide diese Partner-Regime sind bekanntlich aus dem Ruder gelaufen. Das die Amerikaner dann jeweils zunächst der Bevölkerung Horror-Regime vom Hals geschafft haben, war ein Colateralnutzen, aber weiß Gott nicht das Motiv der Interventionen.
Doch zurück zur deutschen Innenpolitik. Was diese betrifft, so vermuten
von der Boulevardpresse auf Dauerverdacht konditionierte Wählermassen, wo auch immer sich Türen schließen hinter Volksvertretern, das Ausbrüten von Deals. Irgendwie brauchen die Leute dieses Klischee, doch es ist vermutlich Lichtjahre entfernt von der Realität. Man hält sie geradezu für den Eros energuminos der Politik. Gehören Deals wirklich zum politischen Geschäft wie Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung zur Realwirtschaft? Sind sie eine politische Partydroge? Ein Lustmoment, das der unter Politikern heftig grassierenden Politikverdrossenheit gegensteuert und dem Job noch xxx einen Rest an Faszination verleiht, die stereotypen Routinen des politischen Alltags leichter ertragbar macht? Hebt das Gerücht, in Deals verwickelt zu sein, nicht sogar den politischen Sex-Appeal? Bedarf es ihrer für den feineren Genuss der Macht und lassen sie das Ego des Verschwörer schwellen?
Und haben Deals als solche nicht schon etwa Heilendes, Harmonisierendes? Mit demjenigen, mit dem man sich im Wahlkampf öffentlich zerfleischt hat, und mitunter unter der Gürtellinie, verstohlene Absprachen zu treffen, Verträge zu schließen, die nirgendwo dokumentiert sind, das baut Konfrontationen ab, heilt Wunden und relativiert die verbalen Gemetzel zur Farce. Und es schafft Klassenunterschiede zu denen, die von diesen Deals xxx oft nichts ahnend sie exekutieren und tragen müssen. Die bekommen ein Paket zum formalen Abnicken auf dem Tisch geknallt, versehen mit einem klaren „Basta!“, einem Rückfrageverbot. Ganz leicht ist es auch nicht für alle, nach vier oder sieben Jahren im Bundestag beruflich wieder unterzukommen, wenn man sich mit den eigenen Leuten angelegt hat.
Und lassen sich Einigungen nicht viel leichter im trauten Gespräch von zwei bis fünf Partnern finden als in offiziellen Arbeitsgruppen, wo allzu oft irgend jemand querzuschießen beginnt, weil er die reine Lehre oder die Interessen seiner Provinz verletzt glaubt? Sieht man sich nicht verpflichtet, wo auch immer ein Moment von Öffentlichkeit zu befürchten ist, der Gesichtswahrung gegenüber der eigenen Anhängerschaft wegen ein wenig in Konfrontation zu machen? Besteht nicht auch deshalb eine größere Chance, sich qua Deal zu einigen, weil auch Angebote aus weit auseinanderliegenden Sphären eingebracht werden können? Xxx Solche Entschädigungsangebote aus dem Großlager bislang unerfüllter Begehrlichkeiten können den Konsensfindungsprozess ungemein erleichtern und sie sind im formalen parlamentarischen Verfahren schlicht unvorstellbar. Und sind viele Sachfragen nicht einfach zu kompliziert, um sie einem großen Kreis engagierter Laien bis zur Entscheidungsreife darzutun?
Xxx Peinlich freilich wird es, wenn Kanzler oder sonstige politische Großkopfenten im kleinsten Kreise sich auf Deals nur deshalb verständigen, weil der Sachverstand ausgeschlossen ist. Man kann eben auch über den Tisch gezogen oder reingelegt werden. Und es ist stillos und blamabel, Deals nachverhandeln zu wollen und oft auch gar nicht mehr möglich. Ein Mann, ein Wort. No risk, no game. Das gerade gehört ja zum Prickelnden dieses politischen Power Plays, das faktische Rückholverbot. Es ist das Salz in der Suppe.
Vieles spricht für einen rationalen Gebrauch dieser politischen Arbeitsmethode, zu allen Zeiten und in allen Feldern. Paris war wirklich eine Messe wert. Xxx Dieses gekaufte Glaubensbekenntnis war freilich nicht allzu geheim. Der staatsgefährdende Menschenhandel der Stasi dagegen brauchte ein Mindestmaß an Verschwiegenheit. Er hat Zigtausende schlicht aus erbärmlichem Siechtum erlöst, aus Knastbedingungen, die der Gegenwart Hohn sprachen. Aber er wurde desto riskanter für das Regime, je mehr er sich herumsprach. Es waren ja nicht wenige, denen der Transfer in den Westen ein bis zwei Knastjahre wert war.
Doch wahrlich lange muss man suchen, will man in der bundesdeutschen Politik Geschehnisse finden, die auch nur halbwegs in die Struktur eines Deals sich pressen lassen. Und dann handelt es sich meist um Absprachen, denen eine abgrundtiefe Verwerflichkeit kaum zu testieren ist. So soll Bremens Regierender einst Helmut Kohls Konzept der Zuordnung von Bundesratsstimmen an die Neuen Länder deshalb zugestimmt haben, weil der ihm im Gegenzug versprochen habe, solange er Kanzler sei, werde die Eigenständigkeit des Bundeslandes Bremen nicht angetastet. Die war damals wiedermal unter Feuer. Kohl wollte den ostdeutschen Ländern mit 23 von insgesamt 68 Stimen die Blokademinorität gegen Grundgesetz-Änderungen von mehr als einem Drittel der Stimmen sichern. Die ist freilich längst dahin, weil Hessen infolge Zuwanderung über 5 statt bisher 4 Stimmen im Bundesrat verfügt, dessen Voten sich somit zu 69 summieren. ( Man kann die Neuen Länder mithin verfassungsändernd unterbuttern. Freilich ist ein solches Begehren bislang nicht mal aus dem südlichen Freistaat zu vernehmen. Doch angesichts des wachsenden Totalprekariats im befreiten deutschen Osten kann man mit Sicherheit nichts auszuschließen wagen.) – Bremen litt und leidet unter der Erbfeindschaft mit Hamburg. Und Voscherau wurde nachgesagt kaum ein Anliegen sei seinem Herzen näher als die Kassation der Eigenständigkeit jenes winzigsten aller Bundesländer. Immerhin wurde Voscheraus Begehren als so eindringlich empfunden – selbst einen Verlust roter Bundesratsmehrheit durch Wegfall der Stimmen Bremens hätte er in Kauf genommen – dass es zu einer Vereinbarung kam, eine Neufassung des Grundgesetz-Artikels 29, mit dem Umgliederungen von Ländern arg vermühsamt sind, dürfe in Arbeitsgruppen nur auf die Tagesordnung, wenn die Genossen Wedemeier und Lafontaine dabei sind.
Doch Sensationswert und Dimension derartiger Kungeleien halten sich in engen Grenzen. Das hat wahrlich nicht die geschichtsgestaltende Kraft der großen politischen Deals aus der letzten ersten Jahrhunderthälfte wie etwa Lenins Agreement mit Deutschlands Kaiser. Der hat bekanntlich 1917 im versiegelten Waggon Erster Klasse Lenin mit 35 Genossen aus der Schweiz nach Russland zu transferieren offeriert , damit die Herren an der Revolution gebührlich Anteil zu nehmen vermochten, dieweil den neuen Machthabern nach der Februarrevolution der Sinn keineswegs nach Kapitulation und Verzichtfrieden stand. Statt „Zar und Vaterland!“ hieß es halt jetzt „Soldaten in die Gräben! Arbeiter an die Werkbänke!“, wo sie ja lange schon waren. Selbst die „Prawda“ stürmte zum Entsetzen Lenins gegen die Idee eines Separatfriedens an. Das kaiserliche Angebot einer Passage in einem Waggon mit dem exterritorialen Status einer Botschaft – die Entente-Mächte hätten die Revolutionäre niemals durchgelassen, sondern sofort aus dem Verkehr gezogen – stieß deshalb auf wohlwollende Prüfung. Lenin bestand zwar darauf, seine Fahrkarte selbst zu bezahlen, hat jedoch, so wird berichtet, von den Kaiserlichen einige Millionen Reichsmark für politische Arbeit akzeptiert, für Antikriegspropaganda und für die Bewaffnung roter Garden. Die Prawda konnte kostenlos verteilt werden. Die Zahl der Parteimitglieder verdreißigfachte sich binnen kurzem. Deutschlands Erzkonservative hatten nicht im Mindesten erwartet, Lenin und die Seinen würden in der Tat die Macht an sich reißen können. Ziel war nur ein Höchstmaß an Chaos in Russland. Doch unmittelbar nach der Oktoberrevolution begann Trotzkij die langwierigen stop-and-go-Verhandlungen zum Kapitulationsfrieden von Brest-Litowsk, bei dem Russland fast ein Drittel seiner Bevölkerung und die Hälfte seiner Industrie dreingeben musste und Ludendorff Verbände freibekam, die er an der Westfront verheizen konnte. „Sie haben Lenin im versiegelten Zug wie einen Pest-Bazillus von der Schweiz nach Russland transportiert“, notierte Churchill später.
All das hatte nur wenig Bestand. Mit Versailles, wo Sowjetrussland nicht dabei war, wurde Brest-Litowsk hinfällig. Es folgten die polnischen Kriege, fast der Durchmarsch der Roten Armee nach Deutschland. „Auf nach Westen! Der Weg zur Weltrevolution führt über den Leichnam Weiß-Polens!“, so zu lesen in einem Tagesbefehl Tuchatscheskijs am 2. Juli 1920 vor Warschau. Der kürzeste Weg nach Berlin und Paris sei der über Warschau, so die Propaganda. Dergleichen hatten Ludendorffs Leute nun doch nicht als worst case, als denkbar schlimmste Folge der Lenin-Passage im Kalkül gehabt. Dann das „Wunder von Warschau“. Von kaum einem Militär oder Politiker erwartet bescherte Pilsudski mit einem hochriskanten Manöver der weit überlegenen Roten Armee eine vernichtende Niederlage. Dann wieder mit dem Frieden von Riga Grenzen weit im Innern des vormaligen zaristischen Russlands. Es war ein Deal, hochriskant nicht nur für Lenin, mit weltpolitischen Folgen weit jenseits dessen, was sich dessen Erfinder vor Augen geführt hatten.
Eine dieser Folgen war die langwährende Allmacht des Vaters aller Werktätigen, des weisen und gütigen Stalin. Der wieder war selbst ein leidenschaftlicher Liebhaber überraschender Deals, kraft deren sich Freund und Feind überrumpelt und auseinanderdividiert vorfanden. Dank welcher Hintergrundvereinbarungen mit welchen Parteigrößen es ihm gelungen ist, nach und nach alle Topfiguren der Oktoberrevolution, alle Persönlichkeiten aus der Entourage Lenins über die Klinge springen zu lassen, kann hier nicht nachgezeichnet werden. Doch wie unter dem Vorwand der Abwehr von Verrat und Konterrevolution eine sich hochmodern und postkapitalistisch begreifende Partei von innen heraus vernichtet und ein quasi orientalischen Despotismus durchgesetzt wurde, das hat schon was. Nur eine kleine, eher milde Anekdote aus Stalins Umgang mit dem Erzfeind sei erinnert. Trotzkij hatte nach erbärmlichen Jahren in der Türkei 1933 schließlich in Frankreich Asyl nehmen dürfen, doch unter demütigenden Bedingungen – Leben in incognito, ständige Polizeiüberwachung und Verbot, Paris zu besuchen. Als 1935 in Norwegen die Arbeiterpartei an die Macht kam, nahm er deren Asylangebot freudig an. Da bot die Sowjetunion Norwegen den Aufkauf des gesamten Heringfangs an, zu einem sehr günstigen Preis, sofern Trotzkij des Landes verwiesen werde. Die Labour-Regierung, verzweifelt auf der Suche nach Geld für ihre fortschrittlichen Sozialprogramme, stimmte gebrochenen Herzens zu. – Ein Parallelfall aus den letzten Wochen ist, mutatis mutandis, die Verweigerung des Einreisevisums für den Dalai Lama zum Weltsozialgipfel in Nairobi, obgleich Kenias Präsident ihm das höchstselbst versprochen hatte. Doch offenbar nicht ohne Grund kam Angst auf, von Rotchinas Entwicklungshilfe abgeschnitten zu werden.
Apropos Stalin. Als einer der verblüffendsten Deals der jüngeren Geschichte gilt noch immer die Aufteilung Mittel- und Osteuropas in den geheimen Zusatzprotokollen zum Hitler-Stalin-Pakt. Vereinbart wurde die Auslöschung von 5 Nationen – Finnlands, Polens, Litauens, Estlands und Lettlands – deren Regierungen von ihrem Schicksal nichts wussten, und die Einverleibung des rumänischen Bessarabiens. Vereinbart wurden im offiziellen Teil zugleich Rohstofflieferungen an Deutschland, die nach Historiker-Einschätzung unverzichtbar waren für den militärischen Erfolg im Westen. Gefeiert wurde dieser Riesendeal schließlich mit einer gemeinsamen großen Truppenparade von Wehrmacht und Roter Armee, beginnend am 17. September 1939 in Brest.
Die mit Hitler vereinbarte vierte Aufteilung Polens bestimmt noch heute die polnische Ostgrenze. Freilich konnte Stalins finnische „Volksregierung“ unter Kuusinen dann doch nicht in Helsinki residieren und das von Hitler preisgegebene Finnland kuschelte bald wieder beim Führer. Finnland wurde im sowjetisch-finnischen Winterkrieg 1940 vielfach mit Kriegsmaterial beliefert, wenngleich mit ziemlich antiquiertem, und das sowohl von den Westmächten wie von Verbündeten Hitlers und das quer durch Deutschland, aber eben nicht von Deutschland selbst. Noch galt Vertragstreue und das mit erstaunlichen Konsequenzen. Bertolt Brecht war gelinde entsetzt, als er auf seinem dänischen Insel-Exil von dem aus Moskau wiederkehrenden Martin Andersen Nexö erklärt bekam, man müsse den Faschismus historisch neu bewerten. Der sei eine linke Bewegung. Am 8. September 39 erging Weisung Stalins an die Komintern, alle Volksfrontbündnisse aufzukündigen und die Verteidigungsanstrengungen der Gegner Hitlers zu sabotieren. Die sowjetische Propaganda begann, die Russen auf ein gemeinsames Vorgehen mit Hitler gen England einzustimmen. Die kommunistischen Emigranten hatten es, soweit sie die Säuberungen überlebt hatten, damals in Moskau nicht leicht. Ihre Privilegien bei Versorgung und Unterkunft waren rasch gestrichen. Und als freundschaftliche Geste wurde mit Übereinkommen vom 27. November 1939 die Auslieferung von 350 Exilkommunisten vereinbart. 70 wurden in der Silvesternacht 39/40 auf der Brücke von Brest-Litowsk der Gestapo übergeben, andere an der finnischen Grenze, darunter auch Juden wie der später in Maidanek vergaste Dirigent Hans Walter David. Freilich hatte Botschafter von Schulenburg schon seit 1936 den Sowjets Listen mit der Bitte um Auslieferung überreicht, weit über tausend Namen von Kommunisten, denen zumindest zum Teil entsprochen worden ist.
Geheimverträge zu brechen gehört zum Miesesten, was es so gibt, gerade weil sie ausschließlich auf Vertrauen beruhen. Damit wird großer Politik weitgehend die Arbeitsgrundlage entzogen. Stalins Vertragstreue war und blieb über allen Zweifel erhaben. Paradigma Griechenland. Drei Jahre Bürgerkrieg, 1946-49, einer der grausamsten der jüngeren europäischen Geschichte.. Hinter den Königlichen standen militärisch die Briten, nicht nur mit Material en masse, sondern auch mit nicht wenig an Personal, darunter einer Panzerbrigade, und schließlich die Amerikaner. Die Kommunisten lebten von Titos Nachschub. Der vollzog sich mit Stalins Billigung. Es gab „befreite Gebiete“ und auch eine kommunistische Regierung. Tito hoffte auf die Ausdehnung des jugoslawischen Mazedoniens bis an die Ägäis mit Einverleibung Thessalonikis. Nach dem Bruch mit Stalin kam es zu einem Deal Titos mit den Briten. Tito stellte die Waffenlieferungen ein. Damit war der Krieg rasch vorbei. Die Schätzungen der Toten bewegen sich zwischen 44000 und 158000, die der Flüchtlinge auf bis zu 700 000, etwa ein Zehntel des Volkes. Eine reale militärische Chance hatten die roten Partisanen nie gegen die Konservativen mit ihren britischen Waffen und amerikanischen Beraterstäben. Dazu hielt man sie zu spärlich ausgerüstet.
Auf der Konferenz in Moskau im Oktober 1944 hatte Churchill Stalin einen Notizzettel rübergeschoben. Darauf stand u.a. „Rumänien 90% Russland – 10 % andere, Griechenland Großbritannien 90 % – Russland 10 %, Jugoslawien 50% – 50%…“. Stalin machte einen zustimmenden Haken auf den Zettel. Das galt. Deal ist Deal, was auch immer die 10% bedeutet haben mögen. Und so beschränkte sich Stalins Hilfe im Wesentlichen auf Diplomatisches und Propaganda. Warum dann dieser sinnlose Krieg über drei Jahre? Die kommunistischen Partisanen hatten die Hauptlast der Resistance gegen die Deutschen getragen. Ihr Anspruch auf Macht ließ sich nicht per Weisung abschalten. Doch die Niederlage der Roten war ausgedealt, schon bevor der Bürgerkrieg überhaupt begonnen hatte. Das wiederum wagte Stalin nicht zu offenbaren. Warmherzig, mit Jubel und Verehrung wurden die geflüchteten Partisanen mit ihren Familien in Osteuropa empfangen und herumgereicht. Beliebt als Heimat im Exil wurde das schöne Odessa. Dort kam es in einer Nacht im Jahre 1956 zu einer fast bürgerkriegsähnlichen Massenprügelei. In Sibirien waren die Lager geöffnet worden. Die heimkehrenden Griechen gingen los auf diejenigen ihrer Landsleute und Genossen, deren Denunziation sie ihr Lagermartyrium verdankten oder zu verdanken glaubten. Verraten worden waren beide.
Eine solche Dimension von Verhökerung lässt sich – dem Himmel sei es gedankt – in der deutschen Gegenwartsgeschichte nicht finden. Ein wenig Mauschelei um diese oder jene Subvention, Deregulierung oder Sozialreform, ein paar Provinzinteressen, einige Milliarden im Verteilungskampf zwischen Bund und Ländern, zwischen armen und reichen Ländern, zwischen den ziemlich ausgezehrten öffentlichen Händen, privater und privatwirtschaftlicher Raffgier und zu Lasten derer, die sich in Montagsdemos erschöpfen oder es gleich bleiben lassen, das ist wohl fast schon alles. Mal sind Koalitionsrunden die Arena, mal interministerielle Arbeitsgruppen, mal kurze tête-à-tête´s bei Empfängen, mal ist es der Bundesrat.
Ja, der Bundesrat – er bietet das klassische Ambiente für politische Deals bei der yyyy Entscheidungsfindung hierzulande. In einem Parlament mit über 600 Leuten in persönlichen Absprachen ungewöhnliche Mehrheiten zu zimmern, das kann ziemlich mühsam werden. Im Bundesrat dagegen mit 16 Voteuren und über lange Zeit dünnen Mehrheiten ist das leichter. Weil dort oft zum Bundestag konträre Mehrheiten bestehen, fühlt man dazu nicht selten auch eine gewissen Notwendigkeit. Und weil gemeinhin jedem Landeschef die Belange seiner Provinz oder seines Stadtstaates näher am Herzen liegen als die seiner Partei – nicht die wählt ihn schließlich wieder ins Amt – so lässt sich über vieles reden. Und Bremen, klein an Fläche und Bevölkerung, aber reich an Wirtschaftsproblemen und mit schlimmen Haushaltsnöten immerdar, ist da objektiv ein idealer Partner. Da war nur lange Zeit der Charakter des Genossen Koschnick im Wege, von dem berichtet ist, er habe bei dem yyyy Wenigen, worauf er sich eingelassen habe, seelisch schlimm gelitten.
Als Paradigma eines politischen Deals galt einst der goldene Handschlag für Offiziere jenseits der Knackigkeitsgrenze so ab 49, der erst seine Mehrheit im Bundesrat fand, als der Bremer Schiffbau sich über den Auftrag über mindestens eine Fregatte freuen konnte. Das ist Jahrzehnte her. Bremens letzte Werft ist trotz der bei anderem Anlass ausgedealten zusätzlichen Werftenhilfe längst verschwunden. Die Fregatte wäre wohl irgendwann ohnehin gebaut worden und die Offiziere in den besten Jahren haben Arbeitsplätze und Karrierechancen freigemacht, wenngleich ein wenig überteuert.
Doch Bremen ist ja beileibe nicht das einzige Bundesland im Dauernotstand. Brandenburg soll in den 90ern mit Verkehrsprojekten außerhalb des gesetzlich verbindlichen Bundesverkehrswegeplans bedacht worden sein. Ein Zusammenhang mit des Landes rettende Zustimmung zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer ist nicht aktenkundig. Und hat Henning Scherf wirklich Hans Eichels allzu großer Steuerreform, die nicht nur den Bund gnadenlos hat verarmen lassen, nur im Gegenzug gegen eine neue Art von Bundessonderergänzungszuweisungen oder Ähnlichem an den Stadtstaat in 9-stelliger Dimension zugestimmt? Wissen wird man das nie. Diese Steuerreform hat so schlimm in die öffentlichen Kassen geschlagen, dass es da auf einige hundert Millionen ohnehin nicht mehr ankam. Doch heftigen Streit hat es hernach gegeben, ob das Geld als einmalige Gabe oder jährlich zugesagt worden sei. Bremen lebte damals und lebt noch immer unter Schwarz-Rot. Das war dessen Trumpf. Der Koalitionspartner musste umgestimmt werden. Denn in allen Länderkoalitionen, die quer zu den Fronten im Bund stehen, gilt nun mal bei Disharmonie grundsätzlich Enthaltung im Bundesrat, und die zählt als Nichtzustimmung, also als klares Nein. Das Druckpotential von Landeschefs mit solide rotgrüner Mehrheit im Rücken gegenüber Schröder und Eichel war dagegen gering. Weder konnte Niedersachsen eine Bundesanstalt für Torfmoorforschung raushandeln noch Schleswig-Holstein einen Marineauftrag. Ob Diepgen damals für Berlin etwas hat durchsetzen können und die FDP in Rheinland-Pfalz, man weiß es nicht. Als Kurt Biedenkopf damals mit hochrotem Kopf vom Rednerpult des Bundesrates in den Saal belferte, die Würde des Hauses sei verletzt, da meinte er wohl weniger den Tumult nach der überraschenden Mehrheit für die rotgrüne Steuerreform, sondern die Methoden, mit denen diese Mehrheit gesichert worden war.
Das war im Jahre 2000 und liegt mithin parlamentarisch schon um Epochen zurück. Deals sind seither kaum ruchbar geworden, zumindest keine fragwürdigen. Ein Kompromiss, bei denen man sich irgendwo in der Mitte trifft, bei Steuersätzen oder Haushaltsposten, das ist kein Deal, kein Tauschhandel wie bei Äpfeln gegen Fische, Glaubensbekenntnis gegen Herrschaft, die Provence um Nizza gegen Italiens Unabhängigkeit, Schürfrechte gegen Glasperlen oder politische Häftlinge gegen Apfelsinen. Auch umtriebiger Lobbyismus hat an sich nicht das Geringste mit einem Deal zu tun. Er gewinnt hinreichend gewichtige Mandatsträger dafür, überzeugend partikulare Interessen als eine Notwendigkeit des Gemeinwohls darzutun. Wer das nicht aus dem Handgelenk vermag, hat in der Politik nichts zu suchen. Oft handelt es sich entgegen dem Augenschein auch gar nicht um Lobbyismus, sondern um eine zufällige und nützliche Interessenparallelität. So hatte eine parlamentarische Staatssekretärin aus dem Hause Eichel im Finanzausschuss des Bundestages mit fast penetrantem Einsatz für den Unterglasanbau Vergünstigungen bei der Ökosteuer durchgeboxt. Dass just in ihrem Wahlkreis am Niederrhein Treibhäuser zuhauf sich finden, wird ihr Engagement nur insoweit beeinflusst haben, als ihr die Zwänge und Nöte dieses Wirtschaftszweiges hinreichend deutlich vor Augen gestanden haben.
Eine Klasse von Tauschhändeleien, denen Anrüchigkeit von vornherein zu unterstellen schlicht abwegig ist, sind Package Deals. Jede Koalitionsverhandlung gebiert solche: Ihr dürft am Kündigungsschutz drehen, wenn ihr der Ausdehnung des Entsendegesetzes auf für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge der Gebäudereiniger zustimmt und prüfen zu wollen Euch bereit erklärt, wo sonst ein solches Gesetz noch sinnvoll sein könnte. Wir stimmen bei der Erbschaftssteuer auf Betriebsvermögen deren Senkung und schließlich dem vollen Verzicht darauf zu, wenn die Steuerfreiheit der Zuschläge für Nacht-, Feiertags- und Sonntagsarbeit bestehen bleibt. Natürlich geht es da um ein Tableau des Gebens und Nehmens. Präzise Deals in konkreten Gesetzen, Punkt gegen Punkt, sind eher in den USA gang und gebe. Dort kann man mit Amendments beliebig Sachfremdes an ein Gesetz koppeln, das Verbot einer Finanzierung der Geburtenkontrolle an den Militärhaushalt oder Steuergeschenke für Topvermögen an die Erhöhung des Mindestlohnes. Hierzulande ist dergleichen eher die Ausnahme. Doch im Script des schwarzroten Koalitionsvertrages ist als Gegenleistung gegen die Kaskaden von Zugeständnissen an die Ultraliberalen allzu oft nur festgehalten, dass etwas erhalten bleibt, also nicht geändert wird.
Dann gibt es noch die Klasse der Scheindeals oder Formelkompromisse. Man glaubt, man habe sich geeinigt, oder hat sich darauf geeinigt, das glauben zu lassen – insofern doch ein Deal. Im schwarzroten Koalitionsvertrag wimmelt es von Formulierungen, von denen sicher ist, dass sie die Partner höchst verschieden interpretieren. Gewiss, wenn „Eigenverantwortung gestärkt“ wird und Ausgaben „korrigiert“ werden, so weiß jeder: Das heißt Kürzung. Doch wenn Dinge „fortentwickelt“, „weitergehende Aktivitäten eingeleitet“, durch „Schaffung flexibler Rahmenbedingungen“ neu ausgerichtet , „zukunftsfest gestaltet“ werden sollen, dann kann alles in jeder Richtung gemeint sein. Dieser Wulst von Leerformeln lässt die Lektüre dieses Koalitionsvertrages zur Quälerei werden. Geradezu ein Meisterstück, die Unfähigkeit sich zu einigen, als Verhandlungserfolg zu verkaufen, bietet der Eiertanz um deutsche Hungerlöhne: „Wir wollen einerseits sicherstellen, dass Löhne nicht in den Bereich der Sittenwidrigkeit heruntergedrückt werden können, aber andrerseits Menschen mehr als bisher die Möglichkeit auch zur Beschäftigung mit niedrigem Einkommen anbieten. Trotz der sehr unterschiedlichen Programme der Parteien besteht Einigkeit, dass die Koalition diese Fehlentwicklung (welche denn nun?) beenden muss.“
Als klassisches Terrain politischer Deals gilt gemeinhin die Top-Ebene der EU – auch hier eine überschaubare Anzahl von Akteuren mit hohem Erpressungspotential. Und das wurde über Jahrzehnte ausgiebig genutzt. Wenn etwa Griechenland – ein in dieser Konkretion imaginärer Fall – einer Richtlinie zum Gesundheitsschutz nur zustimmt, sofern ein paar Millionen für die Fischerei in der Ägäis rüberkommen, so ist Lähmung vorprogrammiert, Deshalb hat man die Erfordernis der Einstimmigkeit in den 80ern, soweit durchsetzbar, beschnitten und sich Anfang der 90er Jahre darauf verständigt, Deals der Art – Brucellose-Verordnung bei kleinen Wiederkäuern gegen Schuhimportquoten – nicht mehr hinzunehmen. Nach der absehbaren Osterweiterung wäre andernfalls die Totalblockade unvermeidbar gewesen. Das war selbstredend kein formaler Beschluss, denn damit hätte man ja dokumentiert, dass solche verquere Deals überhaupt im Schwange sind.
Ganz ausrotten lässt sich dergleichen freilich nicht. Im Herbst kam Polen Italien bei der Beschränkung von Pulloverimporten aus China entgegen und Italien Polen bei einer Entscheidung zu den Grenzkontrollen. Ein Zusammenhang würde natürlich bestritten. Doch in toto sind in der EU Deals mittlerweile eher selten, meist recht schwierig, kaum nachweisbar und unauffällig. Sofern sie sich doch ereignen, laufen sie innerhalb eines einzigen Politikbereiches ab. Wollte man das, worauf sich die Fachministerräte jeweils geeinigt haben, im großen Rat der Regierungschefs wieder yyyy aufschnüren – etwa die Genehmigung zusätzlicher Schiffbausubventionen gegen Zugeständnisse beim Ausweis von Flora-Fauna-Habitaten oder der Kennzeichnung von Gentech-Produkten raushandeln, man stieße auf massive Unlust.
Bisweilen lief freilich noch immer jemand von den hohen Herrschaften aus dem Ruder. So hatte Chirac 1999 in Berlin einen hochpeinlichen Auftritt hingelegt, als er die Agenda 2000 und das Finanzpaket für die Zeit bis 2006 blockierte, um noch was rauszuholen für die französischen Mutterkühe im Zentralmassiv, worauf nicht mal sein Fachminister bestanden hat. Schließlich lag dort Chiracs politischer Ursprung und Landwirtschaftsminister war der Mann auch mal gewesen. Der Imageverlust war verheerend.
Das war eine der letzten Inszenierungen, bei der die Erfordernis der Einstimmigkeit gnadenlos missbraucht worden ist, aber die letzte noch nicht. Polen lässt derzeit wissen, den Energievertrag der EU mit Russland solange zu blockieren, bis Russland Fleischimporte aus Polen unbehindert rein lässt. Doch Moskau mag nur noch Fleisch haben, das auch in der EU vermarktet werden darf, und kein Gammelfleisch und da lag Polen halt daneben, Fleisch aus Bulgarien und Rumänien im übrigen auch. Trickreich hat die EU-Bürokratie unter Umgehung Polens den Fleischhandel mit Russland inzwischen abgeklärt. Schließlich sind da auch deutsche Fleischexporte im Milliardenwert dabei. Und süffisant lassen Brüsseler Beamte durchblicken, es gäbe genug Stellschrauben, Polen bei fortgesetzter Intransigenz zu schikanieren. So was bekäme keinem Land mehr so ganz.
Gewiss erlebt man im Agrarbereich der EU immer wieder Erstaunliches und der ist, gemessen an Budget und Bürokratieaufwand noch immer gigantisch. 200 Millionen pro Jahr seit Januar allein für die Bananenbauern in den ultraperipheren Gebieten, also den Inselgruppen weit draußen in diversen Ozeanen – das zum Beispiel erscheint Vielen als auffällig viel und muss interessante Gründe haben.
Doch Durchstechereien, umtriebiger Lobbyismus und die immer wieder bewundernswerte Performance französischer Eurokraten implizieren noch keinen Deal.
Ein Paradigma ihrer Leistungsfähigkeit ist der momentane Entwurf zur Weinreform der EU. Die produziert bekanntlich weit mehr an Wein als ihre Bürger so trinken mögen. Auf den Weltmärkten sehen sich Europas Winzer jedoch unter Druck vor allem der USA. Deshalb sollte die Konkurrenzfähigkeit von Europas Winzern gestärkt werden. Was jetzt vorgelegt wurde, ist schlicht das Gegenteil. Sacharose, meist Rübenzucker, wird in den unteren Wein-Qualitäten, die von den Gourmets in den USA durchaus gemocht werden, in Deutschland und Österreich zugesetzt. Das soll nunmehr verboten werden. Nur noch rektifizierter Traubenmost (RTK)soll zugelassen sein. Der ist weitaus teurer, wird im Mediterranen produziert und von der EU hochsubventioniert. Wird der Rübenzucker aus dem Wein gebannt, steigt die Nachfrage nach RTK. Dann muss die EU für diesen Most kaum mehr löhnen und die mediterranen Winzer werden mehr von dem Zeug los. Schon gibt es auf Sizilien Winzer, die keinen Wein mehr herstelle, sondern nur noch RTK – in Erwartung der neuen Weinordnung und zum Schaden von deutschen und anderen Winzern, deren Wein dann teurer wird und dann wohl aus manchen Märkten fliegt. Der zuständige Generaldirektor in Brüssel ist Franzose. Doch inzwischen wundern sich allzu viele, wieweit vorgegebener Zweck und Entwurf der Weinreform auseinanderklaffen. Deshalb steht das Ganze wieder auf der Kippe. Und so hat man sich erst mal darauf geeinigt, die Entscheidung auf Juni zu verschieben. Denn dann sind die französischen Präsidentschaftswahlen vorbei und die spanischen Regionalwahlen auch. Ob hinter dieser halbgescheiterten Zumutung irgendwelche Deals stehen, man weiß es nicht.
Das ist halt die EU, wie sie leibt und lebt. Nein, Filmqualität hat dergleichen wahrlich nicht. Und so schleppt sich des Kontinents Zukunft dahin, von Getreidehöchstpreisverordnungen, Modifizierungen von Kontingentsystemen und Verwaltungsvorgaben zur fakultativen Modulation von irgendwas. Es ist ein unglaublich detailliertes Geschäft, politsicher Einzelhandel eben. Produziert wird das am wenigsten durchschaubare Rechtssystem der Gegenwart und die wohl teuerste Bürokratie und es geht dennoch voran, bislang noch. Sich überhaupt noch auf etwas zu einigen wird wegen verschleppter und blockierter Reformen beim Entscheidungsprozedere und der Zahl von nunmehr 27 Nationen immer schwieriger. Das gilt auch für Deals.
Doch kehren wir wieder ein wenig vor deutschen Türen! Gern spricht man ja auch von der Klasse der Dankeschön-Deals, faselt gar von Vorteilsnahme. „Das dealt sich durch“, sagen gehässige Beobachter. Doch nie kann seriös unterstellt werden, das spätere Dankeschön sei vorvereinbart gewesen und habe den Begünstigten gar nicht überrascht und beschämt. Yyyy Dass der für die Bankenaufsicht zuständige Finanzstaatssekretär Caio Koch-Weser als Vice Chairman der Deutschen Bank einen bravourösen beruflichen Neustart hingelegt hat, zeigt, wie abwegig die Behauptung ist, es gebe hierzulande keine Chancen mehr für ältere Arbeitnehmer. Die Vermutung von Vorleistungen ist gerade in diesem Fall schlicht absurd. Caio Koch-Weser hat bei der Liberalisierung der Finanzmärkte in Deutschland Kärrnerarbeit geleistet und dem Hedge-Fond-Markt in einem Maße zum Durchbruch geholfen, dass es vielen in der Europäischen Zentralbank graust. Das waren keine Einsätze für ein einzelnes Geldinstitut. Alle Großbanken in Deutschland haben davon profitiert. Wer den Mann je erlebt hat, weiß, dass er für jede Bank Gold wert ist.
Yyyy Als Staatssekretär hat Alfred Tacke die vom Kartellamt abgelehnte Übernahme der Ruhrgas AG durch eon genehmingt. Inzwischen wirkt er als Vorstandschef der SteAG GmbH, fünftgrößter deutscher Stromversorger und Tochter der Ruhrkohle AG, die im übrigen heute von Gerhard Schröder beraten wird und deren Hauptaktionär die eon ist. Mein Gott, es gibt halt Zufälle im Leben. Als jemand am Rednerpult des Bundestages daran Anstoß nahm, wurde ihm aus der SPD-Fraktion “Moralist“ entgegengeschleudert. Und das gilt offenbar im politischen Betrieb als kein karriereförderndes Etikett.
Auch Wolfgang Clement yyyy hat sich um die deutsche Energiewirtschaft hochverdient gemacht und um die Zeitungswirtschaft nicht minder, so mit der Vorlage einer Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die de facto jede Fusionskontrolle im Pressewesen aushebelt und lahm legt. Heute sitzt Wolfgang Clement m Aufsichtsrat von RWE Power. Mit 30 Prozent ist RWE nach eon der zweite große Aktionär der Ruhrkohle AG, dies nur am Rande. Zugleich ist Wolfgang Clement dem Zeitungsverlag DuMont Schauberg als Aufsichtsrat verbunden, der inzwischen die SPD-nahe Frankfurter Rundschau übernommen hat. Soll man die im politischen Amt gewachsene Kompetenz einer solchen Führungspersönlichkeit brach liegen lassen? Bei Strom- und Gaspreisen ist Deutschland in Europa nahezu führend. Eine solch herausragende Stellung hat sich nicht von selbst ergeben. Die Stafette ist aufgenommen worden. Mannhaft wehrt Wirtschaftsminister Glos die Zumutungen aus Brüssel ab, dem Strom- und dem Gasoligopol in Deutschland die Verfügung über die Durchleitungsnetze zu entziehen. Und gelassen belächeln Topmanager der Energiebranche das Ringen des Kartellamtes um sinkende Durchleitungspreise als Kampf gegen Windmühlenflügel.
Auch Gerhard Schröder hat die gleichen Vorlieben, Energie- und Pressewesen. Noch der jüngstverschiedene Turkmenbaschi wäre wohl zum lupenreinen Demokraten verklärt worden, wenn es für deutsche Ölinteressen als dienlich erschienen wäre. Das von Kanzler Schröder durchgeboxte Minijob-Modell ist vielleicht die für Deutschlands Zeitungsverleger profitabelste politische Entscheidung der Nachkriegsgeschichte. Zeitungen werden inzwischen fast flächendeckend von Minijobbern ausgetragen. Diese Pionierleistung zugunsten des Pressevertriebes gibt dem geflügelten Wort vom „Medienkanzler Schröder“ einen besonderen Sinn. Und einer guten Presse konnte er sich bis zum Beginn des Bundestagswahlkampfes ja durchaus erfreuen. Dass ihm bis heute kein Aufsichtsratsposten eines deutschen Zeitungskonzerns zugefallen ist, das beweist die Unhaltbarkeit allen Geredes über verbreitete Dankeschön-Deals.
In der deutschen Politik geht es weit redlicher zu als gemeinhin unterstellt. Doch ist das wirklich von Vorteil für das Gemeinwohl und dessen Mandatsträger? xxxxxxxxxxx Der Deal ist Grundbestandteil yyyy auch im modernen machiavellistischen Werkzeugkasten. Er befreit den Gestaltungswillen politischer Alpha-Tiere zumindest phasenweise aus dem Prokrustesbett formaldemokratischer Zwänge. Deals sind integrales Element einer halbwegs hochentwickelten und ausgewogenen politischen Kultur. Dies zu leugnen und zu verdrängen bringt ein Moment von Lähmung oder zumindest von Verzögerung in den politischen Betrieb. Doch Zeitverlust ist ein Synonym für Kosten. Und die können enorm sein, so wenn der nächste neu zu setzende Anreiz zur Übernahme von Eigenverantwortung resp. die nächste Kürzung von Renten, Arbeitslosen- oder Krankengeld sich um Jahre vielleicht, wenn nicht gar um Legislaturperioden verzögert. Nicht weniger, sondern mehr Deals brauchen wir in Deutschland und bessere, besser abgesichert, abgeschottet und abgeklärt, um unsere postmoderne Gesellschaft reformfähig aus der Wohlstandsepoche herauszuführen.
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