Auf Katastrophen, die mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit auf uns zukommen, sind wir kaum gefasst. Bedrohungen hingegen, auf die wir ausgiebig vorbereitet wurden, sind unwahrscheinlich oder werden hysterisch überschätzt. So ist bis zum fernsten Horizont kein Feind sichtbar, doch wir zahlen Jahr für Jahr Multimilliarden für eine Rüstung, die längst ihren Sinn verloren hat – Stichwort Eurofighter.
Heute ist ein Totalausfall elektrischen Stromes das Schlüsselszenario einer technischen Katastrophe schlechthin. Vor zwei Jahren wurde im Emsland eine Hochspannungsleitung abgeschaltet, um ein Kreuzfahrtschiff risikolos aus der Werft in Papenburg über die Ems in die Nordsee zu bugsieren. Noch in Spanien blieben Dörfer daraufhin für Stunden ohne Elektrizität. Kurzzeitig drohte europaweit ein langanhaltender Blackout. Die Stromnetze sind weithin im Wildwuchs vernetzt und in Deutschland meist im Konzernbesitz. Vor drei Jahren war im Münsterland klebriger Nassschnee gefallen, gefolgt von einem schroffen Kälteeinbruch. Armdick umschloss das Eis die Hochspannungsleitungen. Eisstalaktiten hin an den Masten. Vom Wind zum Schwingen gebracht stürzten die Kabel zerrissen auf Felder, Straßen und Schienen. Hochspannungsmasten knickten wie Streichhölzer. Denn seit der Liberalisierung der Stromwirtschaft waren die Investitionen in die Netze einschneidend gekürzt worden. Zu tausenden standen sprödbruchgefährdete überalterte Masten in der Landschaft. Für Tage blieb die Region ohne Strom.
Im Zuge des Klimawandels sind solche Wetterphänomene häufiger zu erwarten und absehbar auch deutschlandweit. Eine Vorkehr ist kaum angedacht. Ohne Strom kein Banking und kein Bargeld. Keine Ladenkasse funktioniert, kein Eisschrank, keine Kochplatte und keine Heizung, keine Trinkwasserversorgung und bald auch keine Klospülung. Keine Kommunikation, auch nicht über Handies, weil die Relaisstationen ausfallen. Keine Tanksäule gibt noch etwas ab. Selbst Dieselloks kommen kaum noch durch, wenn die Signal- und Weichentechnik tot liegt. In den agroindustriellen Fabriken krepiert das Vieh, ungemolken, ohne Frischluft und Wasser. Die Menschen sind schlimmer dann dran als 1945. Denn kaum jemand verfügt noch über Öfen und Herde, in denen man Gartenzäune verfeuern kann.
Zufolge einer Kurzumfrage von EMNID freilich sieht die Mehrheit in einem totalen Stromausfall kein großes Problem. Letzte Woche haben in Berlin vier Abgeordnete ein „Grünbuch Risiken und Herausforderungen für die öffentliche Sicherheit“ vorgestellt. Sie sind die Sprecher ihrer Fraktionen in Sachen Bevölkerungsschutz. Eine Vielzahl von Experten hat seit zwei Jahren in 9 Arbeitsgruppen zugearbeitet. Die Linkspartei war nicht dabei. Sie sieht in dem Ganzen einen Vorwand, neue Einschränkungen von Grundrechten anzubahnen. Völlig von der Hand zu weisen ist ein solcher Verdacht nicht. Doch die Diskrepanz zwischen den zu erwartenden Risiken und denen, auf die wir vorbereitet sind, ist eklatant. Bedrohungen wie ein Zusammenbruch des Internets, ein explosionsartiges Ausbreiten neuer Seuchen mit einem Kollaps der ärztlichen Versorgung oder eben ein totaler Stromausfall sind real.
Viele kritische Infrastrukturen seien jetzt in privater Hand. Bei der Deutschen Bahn AG zum Beispiel wurden die Gleissicherungstrupps abgeschafft. Die Gefahrenabwehr ist fast nur auf Krieg und Terror fixiert und auf klassische Katastrophen wie Flut oder Feuer. Hier besteht eher extreme Überversorgung. Pro Ereignis kommen in Deutschland 2 bis 8 mal so viele Kräfte zum Einsatz wie sonst in Europa, ohne dass eine höhere Rettungsqualität nachweisbar ist. Doch kaum eine Vorsorge gibt es für Seuchengefahren im Zuge des Klimawandels wie SARS, Vogelgrippe und Chikungunya-Fieber. Früher kamen Seuchen wie Pest oder Cholera pro Tag allenfalls einige Kilometer voran. Heute können es im Zuge der globalen Mobilität tausende von Kilometern sein. Überträger wie die asiatische Tigermücke nisten bereits bei uns, dank der milden Winter, und haben kälteresistente stabile Populationen gebildet. Die Todesrate bei SARS ist hoch. . Der Virus wird auch von Mensch zu Mensch übertragen. Impfschutz oder Therapie sind bisher nicht verfügbar. Notfalls müssten die Seuchengebiete abgeriegelt werden.
Zitat aus dem Grünbuch:
„Das Gesundheitswesen wäre völlig überfordert. Die Ressourcen sind auf ein normales Krankheitsaufkommen und lokale Schadensereignisse zugeschnitten. Eine solche Krise könnte nicht einmal ansatzweise bewältigt werden. Das liegt auch an dem steigenden ökonomischen Druck, durch den Überhänge in den Versorgungsstrukturen abgebaut wurden, und der zunehmenden Privatisierung des Gesundheitswesens…Die heute fehlende Vorratshaltung von medizinischem Material stellt ein weiteres Problem dar. Durch die Just-in-Time-Logistik halten Krankenhäuser beispielsweise reguläre Infusionen für zwei Tage vor.“
Risikoabwehr kostet Rendite. Jede Bevorratung, von Impfstoffen und Atemschutzmasken bis hin zu Betten, schlägt durch auf die Quartalsgewinne. Schon bei der Stromkatastrophe im Münsterland war von der Siemens-Netzplanung zu hören, die verwöhnten Bundesbürger müssten halt lernen, Naturgewalten zu akzeptieren. Versorgungsunternehmen haften nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit und nicht für Naturereignisse.
Da bleibt zu fragen, ob lebensnotwendige Versorgungsnetze wirklich in Privathand gehören. Die Privatisierung von natürlichen Monopolen wie Bahn oder Trinkwasser ist ohnehin skandalös. Sie führt immer zu Preisexplosionen. Denn kein Konkurrent wird ein zweites Gleis- oder Leitungsnetz neben dem bestehenden bauen. Immerhin ist die unter Kanzler Schröder angebahnte Privatisierung der Trinkwasserversorgung am Widerstand der Länder aufgelaufen.
Noch nie in der Neuzeit waren die Bedürfnisse, deren Befriedigung kollektiv nicht immer geleistet doch zumindest gewährleistet werden muss, so stark und vielfältig wie heute. Da ist zum ersten der Klimaschutz und die Sanierung der Allmende, der Gewässer und Bodens, zum zweiten der wachsende Pflegebedarf. ((Die Anforderungen an die Bildung, die Aus- und Fortbildung wachsen wie niemals zuvor.)) Und wir sind auf Versorgungs- und Kommunikationsnetze einer noch vor Jahrzehnten nicht vorstellbaren technischen Raffinesse angewiesen, deren Unverletzlichkeit abgesichert werden muss. Jede Risikovorsorge muss bezahlt werden, auch wenn sie der Staat leistet. Deshalb steht der gesamte Privatisierungshype konträr zu den Notwendigkeiten dieser Epoche und das Einfordern von Steuersenkungen desgleichen.
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