Allen Ernstes will die Koalition jetzt den Topmanagern ans Geld. Maßlosigkeiten sollen eingedämmt, die Gier soll gezügelt werden. Das sind derzeit wohlfeile Forderungen. Doch sind sie auch wohldurchdacht? Handelt es sich hier nicht um eine Verkennung der Einzigartigkeit unternehmerischen Wirkens?
Der Lohn entspricht der Produktivität: Das predigt die Lehrbuchökonomie. Doch etwas fragwürdig war dieses Dogma schon immer. Wie misst man die Produktivität einer Krankenschwester oder die eines Ministerialdirigenten? Wer Schweine aufzieht, ist produktiv. Wer Kinder aufzieht, ist das nicht. Denn Schweine gehen ein ins Sozialprodukt. Und wie steht es um die Produktivität einer Operndiva oder eines Konzernlenkers? Ja, genau – beide gehören in einem Atemzuge genannt. Künstlertum, Konzerngestaltung und Wirtschaftsführerschaft berühren einander sehr wohl; sie fließen ineinander über. Beide sind hochgradig kreativ. Wer mit kunstreichen Verschuldungskonstrukten einen Konzern nach dem anderen dem seinen einverleibt und damit Kartenhäuser von genialer Fragilität entstehen lässt, der ist nicht produktiv im biedern Verständnis der Buchhalter. Er schafft und gestaltet mit seinem Konzern einen neuen Kosmos voller Leben und Widersprüche. Gewiss sind seine Kreationen oft kurzlebig. Doch auch kaum eines der Weltwunder antiker Architektur hat dem Ansturm der Zeiten standgehalten oder stürzte schon als Fragment, vom Turm zu Babel bis zum Kollos von Rhodos. Entscheidend ist der grandiose Entwurf.
Das geniale einsame Künstlergenie – das war die Kultfigur des 19. Jahrhunderts. In anderen Zeiten waren es Feldherren, Diktatoren oder Propheten, die vergöttert wurden oder vergötzt. Die Michelangelo, Rembrandt oder Berlioz unserer Epoche heißen von Pierer, Wiedeking, Schrempp, Ackermann oder Ron Sommer und auch ihr Schicksal ist von Tragik durchtränkt. Diese faustischen Gestalten haben unserer Zeit ihren Stempel aufgedrückt. Ob der Nutzen überwiegt oder die Destruktion – im historischen Rückblick zählt nur die schiere Größe. Werden nicht noch immer Mao und Stalin bewundert, obgleich der Negativsaldo ihres Wirkens jede Vorstellungskraft sprengt? Konzerne wie City Group und Merill Lynch, Daimler-Chrysler und Vodafone – das sind oder waren die Kathedralen der Gegenwart. Allianz frisst Dresdner Bank, Volkswagen Rolls Royce, Daimler Chrysler, Schaeffler Continental, Porsche VW – schier unendlich ist die Kette und immer kühner das Konstrukt.
Die Angestelltengehälter in Deutschland haben in 20 Jahren gerade mal um 27 Prozent zugelegt. Die der Dax-Vorstände haben sich mehr als versechsfacht. Auch darin zeigt sich, dass wir es mit einer anderen Lebenswelt zu tun haben, die eher der Kultur als der Wirtschaft nahe steht. Die Gagen ähneln denen von Pop-Idolen und Startenören. Was heißt hier Leistung? Auch keine Callas und kein Pavarotti haben je über die Eintrittskarten die Kosten der Opernhäuser eingespielt. Sie haben die Herzen der Menschen erwärmt und ihren Hunger nach Idolen befriedigt, so wie die Hohepriester des großen Geldes einen anderen Hunger der Menschen gestillt und zugleich aufgestachelt haben und ihrem Streben eine Richtung gegeben. Andere Epochen haben gelebt von der Kraft einer Religion, von einer neuen nationalen Identität oder der einer menschheitsbeglückenden Befreiungsidee. Unsere Epoche lebt von der Faszination der Geldgier und des großen Reichtums. „Um die Erfinder neuer Werte dreht sich die Welt“, so schrieb einst Friedrich Nietzsche. Der bekennende Egoismus ist als Leitidee unserer Zeit fest verankert worden.
Genies vergangener Epochen wie Franz Schubert und Rembrandt sind nicht selten in Armut verendet. Hier hat sich ein fundamentaler humanitärer Fortschritt Bahn gebrochen. Denn bittere Armut haben die gestrauchelten Heroen der Gegenwart, die gefeuerten Konzernchefs und Ex-Präsidenten der Landes- und sonstiger Banken kaum zu befürchten. Siemens-Vorstand Kleinfeld wurde nach zwei Jahren im Job mit sechs Millionen abgefunden, offiziell ein Beratungshonorar. Das ist eher noch mickrig. Der gefeuerte Boss der amerikanischen Großbank Merrill Lynch zum Beispiel wurde nach ruinösen Verlusten mit einem Handgeld von 175 Millionen Dollar in die Wüste geschickt. Das klingt üppig. Ein Durchschnittsamerikaner würde für dieses Geld 4000 Jahre arbeiten müssen. Doch angesichts des globalen Desasters, das die creme de la creme der Bankenwelt angerichtet hat, nehmen sich diese astronomischen Gehälter und Abfindungen ohnehin mikroskopisch aus. Deren Kürzung oder Rückforderung ist kleinkariert und kann den Schaden kaum mildern.
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