WDR Hörfunk3
Bedrohlich ziehen Kolonnen Rechtsradikaler durch unsere Städte und huldigen unübersehbar dem Nazi-Regime. Können wir solche Demonstrationen nicht verbieten? „Nein“, so lautet die eindeutige Antwort von Professor Hoffmann-Riem, bis April diesen Jahres Richter am Bundesverfassungsgericht federführend für Demonstrations- und Versammlungsrecht. Gestern sprach und stritt er im Wissenschaftszentrum Berlin zur heiklen Frage der Versammlungsfreiheit für Rechtsradikale. Zitat:
„Das Versammlungsrecht steht allen zu, unabhängig davon, welcher politischen Überzeugung sie sind…Die Bürger sind frei, grundlegende Werte des Grundgesetzes in Frage zu stellen.“
So hat Karlsruhe auch immer wieder Demonstrationsverbote von Kommunen und Landgerichten kassiert. Freiheit auch für die Feinde der Freiheit? „Ja“, so lautete gestern die Botschaft. In der Tat haben Diktaturen oft zum vorgeblichen Schutz vorgeblicher Freiheit gegen vorgebliche Feinde der Freiheit Freiheit vernichtet und elementare Bürgerrechte zur Farce gemacht haben.
((Einen Paradefall solchen Missbrauchs bietet der berüchtigte Artikel 6 in der ersten Verfassung der DDR. Zitat: „Boykotthetze gegen demokratische Organisationen und Einrichtungen,… Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass… und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleich-berechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches.“ Das war gezielt schwammig formuliert, beliebig auslegbar und damit die Rechtsgrundlage für fast die gesamte politische und Gesinnungsjustiz in der frühen DDR (, auch in den Prozessen gegen Wolfgang Harich und Walter Janka.))
Gewiss, die Grenzziehung zwischen dem Schutz der Demokratie und der Unterdrückung politisch missliebiger Minderheiten ist oft heikel. Wo haben wir es heute mit grundgesetzkonformen Nationalisten von Rechtsaußen zu tun und wo mit Neonazis? Dieses Problem hat sich Karlsruhe mit seiner erstaunlich radikalen Sichtweise vom Hals geschafft. Eine solche Grenzziehung interessiert dort eben überhaupt nicht. In einem SPIEGEL-Interview zum Demonstrationsrecht von Minderheiten wurde Verfassungsrichter Hoffmann-Riem vor einiger Zeit schon gefragt:
„Und eine neonazistische Gesinnung spielt keine Rolle?“
Antwort:
„Nein, solange sie gewaltfrei und ohne Straftaten geäußert wird.“
Im Klartext: Man darf den Holocaust nicht leugnen oder verharmlosen. Das ist strafbar. Doch straffrei darf man seine Sympathie für das Regime der Konzentrationslager und Gaskammern demonstrieren, sofern das gewaltlos geschieht. Auf meine Frage, ob das nicht ein klarer logischer Widerspruch sei, erklärte gestern Herr Hoffmann-Riem, es gäbe bisweilen Unstimmigkeiten im Recht. ( Das Bundesverfassungsgericht habe sich mit dem Holocaustverbot befasst, aber nicht sehr eingehend.) Und, Zitat:
„Ich selber würde die Leugnung des Holocaust, wenn ich Gesetzgeber wäre, nicht unter Strafe stellen.“
Auf erregte Nachfragen erklärte er, als Politiker glaube er nicht an die Wirksamkeit eines solchen Verbotes.
((Bitte Wegkürzen, was in der Klammer steht:(( präzisierte er: Ich habe nicht gesagt, dass man die Holocaust-Leugnung nicht unter Strafe stellen darf, sondern dass das noch nicht voll durchgeprüft ist.“ . = diesen Absatz eleganter in den Autorentext einführen!!) Als Politiker glaube er nicht an die Wirksamkeit eines solchen Verbotes.))
Neonazis als eine bloß „missliebige Minderheit“ einzustufen, denen das gleiche Demonstrationsrecht zusteht wie etwa Abtreibungsgegnern oder radikalen Tierschützern – ist das nicht doch eine haarsträubende Verharmlosung dieser Bewegung und ihrer mörderischen Ideologie (, nicht zuletzt angesichts ihrer fast epidemischen Ausbreitung in bestimmten Regionen Ostdeutschlands)?
Gewiss, für Demos der Neonazis gelten Auflagen. Uniformen, einschüchterndes Trommeln und militantes Marschieren in Formation sind untersagt und auch das Zeigen von Nazi-Symbolen. Doch ab wann bitte wird Marschieren militant und einheitliche Kleidung zur Uniform? Die lustvolle Perfidie solcher Aufmärsche ergeht sich gerade darin, für jeden erkennbar dem Naziregime mit Symbolen zu huldigen, die den faschistischen Originalen unübersehbar ähnlich sind, aber eben nicht zum Verwechseln ähnlich – denn erst das ist strafbar.
Freilich, demonstrieren dürfen Neonazis nicht immer und überall. Im Versammlungsgesetz sind eigens die Straßen um das Holocaust-Mahnmal in Berlin genannt, auf denen Aufmärsche verboten werden dürfen. Auch hat Karlsruhe Neonazi-Aufmärsche am Holocaust-Gedenktag untersagt. Denn da bestehe die „Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des sittlichen Empfindens“. Doch jener Tag im Januar, an dem die Rote Armee einst das fast leere Lager Auschwitz erreicht hat, ist den meisten Menschen kaum als historisches Datum vor Augen. Warum Nazi-Aufmärsche nur dann das sittliche Empfinden verletzen und nicht etwa auch drei Tage davor oder danach, dem Datum von Hitlers Machtergreifung, das ist nicht nachvollziehbar. Wenn neonazistische Gesinnung als solche demonstriert werden darf, dann erscheint ein Verbot, begrenzt auf ein paar Straßen und einen Tag im Jahr, als Haarspalterei und als Rechtsauffassung widersprüchlich. Konsequent ist nur die volle Demonstrationsfreiheit mit all ihren widerwärtigen Folgen oder ein Demonstrationsverbot für Sympathisanten dieses Massenmordes rundum und überall.
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