Alles starrt auf Liechtenstein und auf die paar hundert deutschen Leistungsträger, die ihre mühsam erarbeiteten oder ererbten Millionen dort verscharrt haben. Doch das ist kaum des Eisbergs winzige Spitze. Auf weit über hundert Milliarden wird das in dieser Mini-Monarchie gebunkerte Kapital geschätzt, auf über 50 000 die Zahl der Briefkastenfirmen. Und Liechtenstein glänzt ja keineswegs durch Einzigartigkeit. Der Steueroasen-Katalog deutscher Amtsblätter bietet ein Sammelsurium von mikroskopischen Nationen und „Sondergebieten“ wie Vanuatu, Antigua, die Turks- und die Caicos-Inseln, die Bahamas, Nevis, Barbados und zahllose andere. Wie Pickel über den Globus gestreut sind sie der Hort einer ungestümen Prosperität, die freilich vom Rest der Welt eher mit Frösteln verfolgt wird.
Fast jeder Konzern und fast jede Bank mischt mit im Oasengeschäft. 12 deutsche Tochterfirmen auf den Jungferninseln, 21 auf den Bermudas , 14 in Panama und über hundert auf den Kaiman-Inseln zählt die Bundesbank. Doch die meisten Oasentöchter deutscher Konzerne sind nicht erfasst. Sie verbergen sich hinter Holdings in Holland oder Luxemburg. (Eine firmeneigene Finanz-AG in der Karibik, die ihre Anleihen ganz offiziell auch in Deutschland zum Kauf anbietet, gehörte schon in den 80ern zur Grundausstattung der namhaften Konzerne.) Von manchen Global Playern wird fast der gesamte reale Gewinn ihres deutschen Konzernteils trickreich am Fiskus vorbei in die Karibik kanalisiert, als Zinsen, Leasing-, Patent- und Lizenzgebühren oder sonst wie. Über 15 000 Steuerflucht-Firmen wurden auf den Antillen gezählt, rund 35 000 in Panama.
Die Bermudas haben sich zur Heimstatt einer besonderen Art von Konzerntöchtern gemausert – „captives“ genannt. Das sind Versicherungsfirmen, die nur einen einzigen Kunden haben – und das ist ihr Besitzer. Trickreich werden Riesensummen als Prämien dorthin überwiesen und als Anleihen zurückgeborgt. Über 9000 dieser seltsamen Agenturen gibt es zur Zeit auf den Bermudas, mit einem Kapital von 65 Milliarden Dollar.
Die Kanalinseln vor Frankreichs Küste sind zwar der britischen Krone unterstellt, gehören aber nicht zur EU. Allein auf Jersey drängen sich 32 000 Firmen. (Ihr Sitz besteht meist nur aus einer Hängemappe im Büro eines Anwalts.) Auf der Nachbarinsel Sark wurde ein Mann aktenkundig, der es auf 9000 Vorstandsmandate gebracht hat. Die Europäische Kommission schätzt, dass unfairer Steuerwettbewerb für ein Drittel der Arbeitslosigkeit in der Gemeinschaft verantwortlich ist. Denn bei leeren Kassen kann kein Staat Straßen und Schulen bauen und ein vernünftiges Bildungssystem bezahlen. Nach jahrzehntelangem Verhandeln hat die Staatengemeinschaft die meisten Steueroasen zwar dazu gebracht, künftig Quellensteuern zu kassieren. Doch die Schlupflöcher sind groß wie Scheunentore. Denn das Ganze gilt nur für natürliche Personen, nicht für Firmen und Stiftungen und auch nur für Zinsen, nicht für Dividenden, Wertzuwächse und was sonst auch immer.
Die deutschen Banken haben sich vor allem mit den Kaiman-Inseln angefreundet. Ihre Tochterfirmen in dieser winzigen Kronkolonie verfügen über ein Kapital von rund 200 Milliarden Euro. Die Kaiman-Inseln kennen keinerlei Steuern welcher Art auch immer. Doch selbstredend siedeln die Banken dort nur des milden Klimas wegen und weil ein paar Geschäftsfreunde auch dort sind. Und 184 Milliarden Euro haben Banken aus Deutschland derzeit in die Steueroasen verliehen. Natürlich ruhen diese Gelder dort nicht. Sonst würden sie ja keinen Gewinn bringen. Sie rotieren über den Globus, mischen mit im großen Spekulationsroulette und finanzieren ganz reale Investitionen. Doch weil sie pro forma in den Oasen verwaltet werden, sind die Gewinne daraus eben steuerfrei.
Diese Oasen oder „off-shore-Finanzzentren“ sind die Fußpunkte eines von aller staatlichen Aufsicht entfesselten Weltfinanz-Systems, das genau deshalb auch extrem störanfällig und labil geworden ist. Und sie fungieren als gigantische Geldwaschanlagen. Hier vor allem werden die Multimilliarden aus dem Rauschgiftgeschäft, dem Waffen- und dem Menschenhandel in die Legalökonomie eingespeist. Und hier nistet das Gros der sogenannten „Zweckgesellschaften“, jener Bankentöchter und Fonds, die mit hochriskanten und undurchschaubar konstruierten Schuldenpapieren die Märkte überschwemmt, solche Papiere auch selbst gehortet und die akute Bankenkrise verursacht haben. Die Kosten trägt jetzt der Steuerzahler. Statt dem Oasenspuk den Garaus zu machen, hatten sich die Regierungen in einem seltsamen Willen zur Ohnmacht damit mehr und mehr arrangiert. Inzwischen bedroht er unsere wirtschaftliche und soziale Stabilität. Dabei geht es wahrlich nur am Rande um die Millionen der Zumwinkels und Ihresgleichen.
Gerd Horstmann meint
Sehr geehrter Herr Dr. Welzk, vielen Dank für Ihre so informativen, klaren und kritischen Beiträge. Ich kenne nur sehr wenige Verfasser, die so verantwortungsbewußt Mißstände aufdecken. Und vielen Dank auch für die Möglichkeit, das alles im Internet so benutzerfreundlich nachlesen zu können. Als Pensionär, der noch einmal im Gymnasium einspringen kann, werde einiges von Ihnen im Unterricht verwenden. G. Horstmann