STEUERN UND ABGABEN FRESSEN UNS AUF.“ „ BILD rechnet vor: SO RAUBT DER STAAT UNS AUS…“ Balkengroß prallten letzte Woche diese Schlagzeilen den Lesern von Deutschlands aggressivstem Boulevard-Blatt entgegen. Die Arbeitnehmer würden regelrecht ausgenommen. Von jedem Euro auf dem Lohnzettel blieben nur 48 Cent. Vorgeführt wird das an einer Modellfamilie: – Mann –Frau – ein Kind, 4000 € brutto.. BILD beruft sich dabei auf den Bund der Steuerzahler und dessen Seriosität ist, milde gesagt, umstritten. Dort war diese Rechnung trotz eindringlicher Bitte nicht zu bekommen. Doch diese Modellfamilie erhält schon mal einen erklecklichen Teil ihrer Steuern sofort als Kindergeld vom Staat zurück. Bereits das bleibt ausgeblendet. „Sozialbeiträge und Steuern müssen deutlich runter!“ Das fordert in der Bild-Zeitung (Karl Heinz Däke,) der Chef dieses Bundes der Spitzensteuerzahler und der vertritt gemeinhin nicht gerade die Interessen der Lohnabhängigen. Was ist nun dran an diesem Horrorgemälde vom Blutsauger Staat?
Die Sozialbeiträge werden weitergereicht an die Rentner, die Arbeitslosen und die Pflegefälle. Wer da kürzen will, der muss schon sagen, wen es treffen soll. Die Rentner, die binnen 4 Jahren schon 7 Prozent ihrer Kaufkraft verloren haben? (Das Gros der Renten bewegt sich absehbar auf das Sozialhilfeniveau zu.) Sollen die Arbeitslosen noch weniger zum Leben haben? Und der Pflegenotstand ist heute schon eine nationale Schande. Die Beiträge zur Krankenversicherung, kann man die allen Ernstes als Raub brandmarken? Sollen die Krankenhäuser noch brutaler an Personal sparen, die Krankenschwestern noch dürftiger entlohnt werden? Gewiss, die gesetzliche Krankenversicherung ist teuer in Deutschland. Das hat zwei Hautursachen. Die Lobby der Pharmakonzerne und Apotheker und die Privatversicherungen. Die sind ein Unikum in Europa, eine Solidargemeinschaft der Reichen und Gesünderen unter sich. Das treibt die Beitragssätze in den gesetzlichen Krankenkassen hoch, die sich um die Ärmeren und um die schlechten Risiken zu kümmern haben.
Kurzum – die Sozialabgaben, gegen die BILD Sturm läuft – das sind unsere Absicherungen bei Krankheit und Arbeitslosigkeit und fürs Alter. Will da jemand im Ernst darauf verzichten oder die Leistungen noch weiter zurückstutzen?
Zu prüfen bleibt der Vorwurf einer unzumutbaren Steuerlast. BILD zitiert da Deutschlands angeblichen Steuerguru Franz Konz. „ Der Staat besteuert nicht, er beraubt seine Bürger.“ (Der Mann hat wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ein Jahr eingesessen, dies nur am Rande. Doch ) Werfen wir einen Blick auf die nüchternen Fakten: Die Steuerlast in Deutschland ist eine der niedrigsten in der westlichen Welt. In der EU verlangt nur die Slowakei ihren Bürgern noch weniger ab. Selbst die Mehrwertsteuer von nunmehr 19 Prozent liegt in Europa noch im unteren Bereich.
Unsere Infrastruktur verrottet. Wie in der späten DDR decken die öffentlichen Investitionen seit langem nicht mehr den Ersatzbedarf. Schulen und Universitäten befinden sich oft in erbärmlichem Zustand. Es fehlt an Professoren und Dozenten, an Laborplätzen und an Literatur. Die Einkommenseliten trifft das kaum. Sie schicken ihre Kinder zum Studium nach England und in die USA. Reiche fordern stets einen armen Staat. Doch Deutschland lebt vom Niveau seiner Wissenschaft, seiner Experten und Fachkräfte und ist dabei, dieses ererbte Kapital vor die Hunde gehen zu lassen.
Die Staatsquote – das ist der Anteil der Staatsausgaben an der Wirtschaftsleistung eines Landes. Sie ist in den letzten drei Jahren drastisch abgesenkt worden. Heute ist sie so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht. In Westeuropa werden wir da nur von Spanien und von Luxemburg und Irland unterboten und diese beiden Staaten sind im Grunde Steueroasen.
Sinkende Reallöhne und Sozialleistungen und ein bescheidener Staat – das entfessele die Wirtschaft und schaffe Wachstum und Jobs. Das ist das neoliberale Credo. Doch werfen wir einen Blick nach Nordeuropa, nach Schweden, Finnland und Dänemark. Dort folgt man einem klaren Gegenkurs. Steuern und Abgaben sind seit langem sehr hoch. Der Staat nimmt viel und gibt viel. So liegt der Spitzensteuersatz in Schweden bei 56 Prozent. Die Reallöhne folgen – im Gegensatz zu Deutschland – der Produktivität. Die Sozialleistungen sind beachtlich, die Einkommensunterschiede gering. Dafür sorgt auch die steile Steuerprogression. Nach neoliberaler Lehre sollte das jedes Land in den Ruin treiben. Doch die Nordländer erfreuen sich eines stürmischen Wachstums, niedriger Arbeitslosigkeit, hoher Überschüsse im Außenhandel und im Staatshaushalt, eines Wohlstandes und einer Zufriedenheit ihrer Bürger, die weltweit ihresgleichen sucht. Statt auf niedrige Löhne setzt man auf Bildung und Innovation. Die Forschungsausgaben liegen weit über deutschem Niveau. Auf dem globalen Informationstechnologie-Index des World Economic Forum besetzen diese drei Länder den Rang eins, zwei und vier und auch auf dem Index der Wettbewerbsfähigkeit sind sie Top. Für unsere Zukunft sollten wir weniger über den Atlantik schauen, sondern nach Norden.
Ein magersüchtiger Staat ist offenkundig weder notwendig noch gut. Eindringlich fordert die Bildzeitung die Senkung von Abgaben und Steuern. Zitat: „Nur so gibt es wirklich mehr Netto für Alle.“ Nur so? Mann könnte ja auch endlich höhere Bruttolöhne akzeptieren. Die sind jetzt selbst im Aufschwung real gefallen – und das zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
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