Nein, ein verspäteter Aprilscherz war das nicht, als die Bundesbank jetzt eine erneute Heraufsetzung des Rentenalters verlang hat, diesmal auf 68 ½ Jahre. Natürlich erwarten die Herren in Frankfurt nicht, dass der Bundestag diese Idee bis zum Sommer in ein Gesetz verwandelt. Mit solchen Vorstößen bereitet man nach und nach das Feld für neue soziale Obszönitäten. Freilich gebricht es der neoliberalen Reformphalanx an Konsequenz. Diese Salamitaktik –Jahr für Jahr eine neue Schikane – den Namen eines großen Reformentwurfes verdient sie nicht. Wäre es nicht konsequent, die Renten insgesamt abzuschaffen? Jeder arbeitet dann, bis ihn der Amtsarzt krank schreibt. Renten, Arbeitslosen- und Krankengeld – alles wird dann zusammengefasst zu einem Rundum-sorglos-Sparpaket. Jeder Betroffene bekäme dann bei Bedürftigkeit eine Grundsicherung auf Sozialhilfeniveau, egal, ob er krank, arbeitslos oder altersgebrechlich ist. Zugleich wäre damit die neue Flexicurity irgendwie verwirklicht, jener selbstwidersprüchliche und schwammige Leitbegriff, mit dem die EU neuerdings hausieren geht, um den Menschen weiszumachen, dass ein Rest an Sozialstaatlichkeit erhalten bleiben soll.
Konsequent ist eine Abschaffung der gesetzlichen Renten schon deshalb, weil sie angesichts der im Service Sektor verbreiteten Löhne und aufgrund von Zeiten langer Arbeitslosigkeit für das Gros der Menschen ohnehin bis nahe an das Sozialhilfeniveau absinken. Aus den arbeitenden Armen werden arme Alte. Das ist vorprogrammiert. Weil schon heute ab einem Alter von 60 die Meisten keinen Job mehr haben, bringt jede Heraufsetzung des Rentenalters real kaum etwas anderes als eine Rentensenkung auf breiter Front. Und wann die besser Verdienenden ihre privaten Altersersparnisse vertilgen, das muss kein Gesetz vorschreiben.
Doch nun im Ernst: Ist das fortwährende Rentenreform-Spektakel wirklich eine bittere Notwendigkeit oder eine spezifisch deutsche Hysterie, erzeugt von Versicherungskonzernen und Arbeitgeberverbänden? Denn nirgendwo sonst in Europa blicken die Menschen so angstvoll auf ihr Alter wie hierzulande. Heute kommen auf 100 Menschen im Arbeitsalter 32, die älter sind als 65. Im Jahr 2030 werden es 52 sein. Das gilt als fast unbewältigbar. Doch schon heute stehen 26 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 20 Millionen Rentner gegenüber. Das ist ein Verhältnis von 75 zu 100 und es wird geschultert. Zugleich hat man noch für über drei Millionen Arbeitslose zu zahlen. Unterstellt man für 2030 auch nur den gleichen Anteil von Erwerbspersonen an den Menschen im Arbeitsalter wie gegenwärtig, so wird die Belastung milder sein als heute. Im Klartext: Die hohe Arbeitslosigkeit und die von ihr mit verursachte Frühverrentung sind heute eine mindestens ebenso schwere Bürde wie die erwartete soziale Alterung.
Entscheidend ist freilich nicht die Zahl der Älteren, sondern der Gesamtquotient von Jüngeren unter 20 Jahren plus Älteren zur Zahl der Menschen im „Arbeitsalter“. Und der war schon 1970 wegen der höheren Geburtenzahlen fast genauso hoch wie er jetzt für 2030 erwartet wird.
Eindringlich fordert die Arbeitgeberschaft eine Absenkung der Rentenbeiträge. Die hohen Lohnnebenkosten müssten runter auf das Niveau anderer Nationen. Als wäre der Exportweltmeister Deutschland nicht längst so globalisierungsfit wie kein anderes Land des Westens! Die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung gehören zu den niedrigsten in der EU. Unterboten werden wir da nur von Slowenien, Zypern, Malta, Luxemburg, Estland und Holland. Und bei den Lohnnebenkosten insgesamt liegen wir in Europa längst im unteren Mittelfeld. Das hat letzte Woche das Statistische Bundesamt gemeldet. Die Dauerkampagne zur Absenkung von Sozialbeiträgen arbeitet mit einem ein Zerrbild deutscher Reformzwänge fernab der Realität. Von der Demografie her sind unsere Renten kaum bedroht, von der Politik dagegen sehr wohl.
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