Kinder mag man mögen oder auch nicht. Doch schon aus purem Egoismus haben wir für sie zu sorgen und zwar gut. Von ihrer Leistung leben wir alle dereinst. Sinkt ihre Zahl, muss ihre Leistungsfähigkeit steigen, oder wir verleben unser Alter im Elend. Die private Kapitalvorsorge ist nur Augenwischerei. Unser Kapital kann uns nicht pflegen und nähren. Das können nur die Menschen, die dann mit uns leben. Wie steht es nun um die Konsequenzen aus diesem elementaren Sachverhalt, unseren demografischen Countdown vor Augen?
Je jünger Kinder sind, desto aufnahmefähiger und formbarer sind sie. Desto mehr Sensibilität verlangt der Umgang mit ihnen. Was da plattgemacht oder vernachlässigt wird, das ist später nur mühsam noch auszugleichen. Es ist das Vorschulalter, in dem man das Lernen lernt. Eine Kindergärtnerin soll Grundelemente der Denkfähigkeit und des sozialen Miteinanders entwickeln. Sie soll Wachheit und Kreativität stimulieren. Doch in der Tasche hat sie am Monatsende nur etwa halb so viel wie ein Studienrat, der 18jährigen lateinische Konjugationen eintrichtert. Viele müssen sich mit Nebenjobs über Wasser halten. Sie reinigen abends Büros oder kellnern, statt Lerninhalte für den nächsten Tag vorbereiten zu können. (Wer zumutbar verdienen will, sucht sich einen anderen Beruf.)
Karge 0,4 Prozent des Soziaproduktes wenden wir für die Vorschulbetreuung auf. In Schweden ist es das Vierfache. In Holland ist der Beruf des Grundschullehrers und der des Erziehers seit Jahrzehnten schon verschmolzen zu einer einzigen Ausbildung und Entlohnung. Bei uns dagegen sind die Kitas eher Verwahranstalten. Die Gruppen sind zu groß und die Erzieherinnen oft heillos überlastet. Und der Löwenanteil dessen, was an staatlicher Hilfe im Vorschulalter fließt, dient nicht der kindlichen Entwicklung, sondern der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – im Klartext der Eingliederung von Müttern ins Erwerbsleben. *)
Der zweite große Missstand ist das ((für ein Land dieses Entwicklungsniveaus frappierende)) Ausmaß der Kinderarmut. Jede vierte Familie in Deutschland lebt in Armut. ((Sie hat weniger als 60 % des mittleren Einkommens.)) Kinder bilden die größte Armutsgruppe im Land. In Ostdeutschland trifft es bereits jedes dritte Kind. Nach einer UNICEF-Studie hat sich bei uns Kinderarmut so krass verfestigt wie sonst nur noch in den USA. Den zwei Millionen Kindern in Hartz-IV-Haushalten sind pro Tag zweieinhalb Euro für Essen und Trinken zugedacht, davon bis zu 1 € 38 fürs Mittagsessen. Eine Malzeit in Hort oder Kita kostet 1,80 bis 3 € 20. In Hessen wollte die Landesregierung deshalb Hartz-IV-Kindern die Kita-Malzeit gratis gewähren. Prompt ließ die Arge Gießen wissen, diesen geldwerten Vorteil müsse sie beim Hartz-IV-Satz der Kinder wieder in Abzug bringen. Seit kurzem gibt es das neue Betreuungsgeld. Schon wird aus Thüringen berichtet, dass arbeitslose Eltern ihre Kinder aus den Kitas nehmen, weil sie ansonsten diese 150 € nicht bekommen. In Berlin müssen über 40 Prozent der Klein- und Vorschulkinder bereits von Hartz IV leben. 9 € 12 Cent hat der Gesetzgeber ihnen für Spielzeug zugestanden – nicht pro Monat, sondern pro Jahr.
Schlechte Diät, miese körperliche Verfassung, statt Sportverein und Musikunterricht Glotze und Lernstörungen – arme Kinder kommen bereits klar deklassiert ins Schulalter. Und unser Schulsystem ist nicht ausgerichtet auf Integration und auf die Förderung von Benachteiligten, sondern auf frühe Auslese und Abtrennung. Das ist der dritte große Missstand. Deutschland ist Weltmeister der sozialen Selektion im Bildungsbereich. Allzu viele lernen in den Schulen vor allem, dass sie nichts können. Mit diesem Grundgefühl ihrer Unbrauchbarkeit und Überflüssigkeit treten sie dann ins Arbeitsalter. Erstaunt nimmt die Gesellschaft zur Kenntnis, dass solche Menschen mitunter hernach aus dem Ruder laufen. Und an den Universitäten ist der Anteil der Studenten aus den ärmeren Schichten unter das Niveau der 60er Jahre gefallen. Dieses Land geht mit seiner Zukunft um, als ließe sich die Zeit bei Bedarf zurückdrehen und alles irgendwann irgendwie noch korrigieren.
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
(Ev. noch ans Ende oder in die Nachmoderation: Statt endlich unsere Kitas, Schulen und Universitäten auf das Niveau dieser Zeit zu bringen, streiten die Parteien darüber, um wie viel wessen Steuern gesenkt werden könnten. Da könnte man ev. das Bofinger-Zitat verwenden.)
*) Aus Zeitgründen wurde hier gestrichen/ (nur, falls sich dafür doch noch Raum ergäbe):
Eines der teuersten Instrumente deutscher Familienpolitik ist das Ehegattensplitting bei der Einkommenssteuer. 20 Milliarden kostet uns das pro Jahr. Doch 40 Prozent der Ehepaare, die davon profitieren, haben keine Kinder, und 40 Prozent der Familien mit Kindern haben nichts von diesem Splitting, weil sie so wenig verdienen, dass sie keine Steuern zahlen.
Schreibe einen Kommentar