Er wird einer der heißen Streitpunkte im Wahlkampf, der gesetzliche Mindestlohn. 21 Staaten der Europäischen Union haben ihn. In vier Ländern, wie in Italien, gibt es andere, genauso wirksame Regelwerke. Nur Zypern und Deutschland sind draußen vor. Doch FDP-Chef Westerwelle befindet, Zitat. „Das ist wie Planwirtschaft in der DDR, nur ohne Mauer.“ Die Einen erklären Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Jobs durch einen Mindestlohn für gefährdet. Andere halten es für entwürdigend, wenn es in dieser Wohlstandsgesellschaft für Menschen, die von früh bis spät arbeiten, nicht zum Überleben reicht. Gestern ging in Berlin eine internationale Konferenz des Bonner „Instituts für Zukunft der Arbeit“ und der Thyssen-Stiftung zum Mindestlohn zu Ende. Hören Sie dazu Stefan Welzk:
Die Konferenzbeiträge ließen keinen Zweifel an der Verlässlichkeit und Linientreue wohletablierter deutschen Ökonomen in politischen Kontroversen. Ein Mindestlohn führe keineswegs, wie oft erwartet, zur Entlastung der öffentlichen Hände, weil dann dürftige Einkommen nicht mehr aufgestockt werden müssten, so war der Konsens. Im Gegenteil müsse der Staat um die zwölf Milliarden draufzahlen. Denn zahllose Jobs würden zerstört, weil allzu viele Arbeitskräfte diese 7 € 50 schlicht nicht erwirtschaften. Die lägen dann arbeitslos dem Staat auf der Tasche. Erstaunlich freilich sind die enormen Unerschieden zwischen den Prognosen. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen berechnet einen Verlust von 860 000 Arbeitsplätzen durch einen Mindestlohn, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin einen Verlust von 220 000. Schon diese Diskrepanzen werfen ein Schlaglicht auf die Seriosität solcher Prognosen. Dabei wird jeweils ein extremer Einbruch der Nachfrage nach Arbeitskräften bei einem Lohnanstieg auf 7 € 50 schlicht unterstellt, ohne empirischen und wissenschaftlichen Beleg oder sogar gegen verfügbare Erfahrung.
Amüsiert vermerkte gestern der britische Experte, Professor Machin aus London, er fühle sich um 12 Jahre zurückversetzt. Damals wurde in England ein Mindestlohn beschlossen. Millionen von Jobs würden zerstört, so wurde von Konservativen und Fachökonomen prognostiziert. Nichts davon ist eingetreten. Bis heute findet sich kein Hinweis darauf, dass der Mindestlohn von derzeit auch etwa 7 € 50 in England im Saldo zu Jobverlusten geführt hat. In den USA schließlich gibt es schon seit 70 Jahren einen auskömmlichen Mindestlohn. Auch dort sind schädliche Wirkungen auf den Arbeitsmarkt bis heute nicht erkennbar. Seit zehn Jahren etwa vollzieht sich in Deutschland ein dramatischer Lohnverfall und das gerade bei den ohnehin schon miserabel Bezahlten. Das wurde gestern eindrucksvoll dokumentiert. Am schlimmsten betroffen ist Ostdeutschland. Wer anderswo was findet, zieht weg. Das sind vor allem die Jungen, die Intelligenten und Vitalen. (Man kann ohne Mauer kein Wohlstandsgefälle aufrechterhalten, was sich mit Mauer nicht hat absichern lassen.) Der Osten blutet aus.
Logische Folge des Lohnverfalls ist spätere Altersarmut. Dem wurde gestern vom FDP-Politiker (und Ex-Staatssekretär) Heinrich Kolb entgegengehalten, auch wer 45 Jahre lang für 7 € 50 arbeitet, bekomme nur eine Rente unterm Sozialhilfeniveau. Das wahrlich ist eines der seltsamsten Argumente, die je gegen einen Mindestlohn vorgebracht worden sind.
Die Löhne könnten nicht über der Produktivität liegen, so wurde insistiert. Doch wie misst man die Produktivität einer Pflegekraft, einer Friseuse oder einer Erzieherin? In der Schweiz geht ein Briefträger mit 2000 € nach Hause. In Dänemark bekommt ein Fleischer das Mehrfache wie hierzulande. Sind die soviel produktiver als ihre deutschen Kollegen? Sind die Einkommen in all unseren Hungerlohnbranchen nicht die Folge der knallhartenKonkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und der Schwäche von Gewerkschaften in diesem Bereich? Ist das ganze Niedriglohnproblem damit nicht eher eine Machtfrage als eine Frage der Produktivität? Und ist es wirklich sinnvoll, dass der Staat das Haarschneiden subventioniert und die Hotelübernachtung, indem er die Löhne von Zimmermädchen und Friseusen auf Hartz4-Niveau aufstockt? Warum soll es in diesem Lande heute nicht mehr vertretbar sein, Brötchenverkäuferinnen, Floristen, Wachleute und Fensterputzer so zu bezahlen, dass es zum Überleben reicht? Und geht es bei einem fairen Lohn nicht auch um die Würde von Menschen, die laut Grundgesetz doch unantastbar ist?
Anke meint
Die Abnahme des Lohnniveaus ist in Hof /Saale auch ein Thema. Die Stadtväter werben mit dem „ineressanten Lohnniveau“ in ihrer Stadt. Was das für die Arbeitnehmer heißt läßt sich mittlerweile prima nachvollziehen.
Da werden qualifizierte Mitarbeiter beispielsweise im kaufmännischen Bereich mit maximal 1400,- Euro brutto für einen 40 Stunden-Job nach Hause geschickt.
Teilweise sind es auch Akademiker als Quereinsteiger im IT-Bereich, die sich mit nicht viel mehr zufrieden geben müssen.
Der Bankensektor ist ebenfalls betroffen, da bietet man den Arbeitnehmern mittlerweile 40 Stunden-Jobs für 1350,- brutto an.
Im Callcenter bekommt eine Bürokauffrau in Hof 7,- Euro in der Stunde im Schichtdienst mit WE-Arbeit. Wie gesagt brutto!!!
Wo soll das noch hinführen?
Welcher Familienvater kann von 1000,– netto eine Familie ernähren?
Warum steht keiner auf? Es ist unglaublich, dass der Gesetzgeber diese Zustände auch noch fördert. Die Arbeitsagentur geht davon aus, dass ein Lohn erst ab 3,– Euro als sittenwidrig einzustufen ist.
Wo sind wir eigentlich?
Es ist kaum zu glauben aber die Arbeitgeber sägen sich den Ast ab, auf dem sie sitzen!
A
Katja meint
Ich finde, dass der Mindestlohnt erst einmal ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung geht. Das alleine reicht allerdings nicht aus. Hier muss noch einiges mehr passieren und man kann nur hoffen, dass das Thema jetzt nicht einfach wieder zur Seite geschoben wird.