ARBEITSLOSE SOLLEN VOR KLAGEN AN DEN SOZIALGERICHTEN FINANZIELL AUSGEBREMST WERDEN
400 Experten schlugen sich Ende letzter Woche in Berlin mit Widrigkeiten im Arbeits- und Sozialrecht herum, darunter auch der Präsident des Bundessozialgerichtes. Brennpunkt des Missvergnügens war Hartz IV. Die Sozialgerichte sehen sich einer rapide wachsenden Flut von Klagen gegen die Jobcenter ausgesetzt. Der Bundesrat fordert, diese Klagen gebührenpflichtig zu machen. Sein Gesetzentwurf liegt dem Bundestag vor.
75 € sollen bei den Sozialgerichten künftig im Voraus auf den Tisch, bei Berufung dann das Doppelte und Dreifache. Ohne Vorkasse kein Verfahren. Wer nicht zahlt, kriegt kein Recht. Bei einer Befragung aller Sozialrichter hat dieser Vorschlag freilich eine vernichtende Kritik erfahren. Kaum Querulantentum, sondern die oft demütigende und rechtswidrige Praxis in vielen Jobcentern sei die Ursache der Klagen. Und abgeschreckt von solchen Gebühren würden dann vor allem Alleinerziehende, Ältere und die Ärmsten. Auch eine Arbeitsentlastung würde kaum erreicht, weil dann Tausende von Anträgen auf Prozesskostenhilfe die Gerichte überschwemmen.
Handlungsbedarf besteht dagegen bei den Jobcentern. Ihre Bescheide haben nicht selten die Kompliziertheit eines Sudokus. Und sie sind allzu oft sachlich oder rechtlich falsch und selbst für Juristen kaum verstehbar. Denn die Bundesarbeitagentur hat die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter drastisch gekürzt. Ein Drittel des Personals hinter den Schreibtischen ist ohne Qualifikation. Viele sind selbst dürftig bezahlte Hartz-4-Aufstocker mit befristeten Verträgen. Diese enge Befristung verhindert die Ausbildung von Kompetenz. Ein heftig umstrittenes Computerprogramm montiert automatisch Textbausteine und produziert unsinnige und unverständliche Bescheide wie am Fließband. Deshalb geht schon in den Ämtern jeder dritte Widerspruch durch. Und bei den Gerichten bekommen etwa 40 Prozent der Kläger recht, soviel wie in keinem anderen Rechtsgebiet. Nur jede zehnte Klage sei aussichtslos. Und ein Drittel der Kläger zieht zurück, nachdem ihnen das Gericht ihre Bescheide erklärt hat. Offenkundig wälzen die Jobcenter einen Teil ihrer Arbeit einfach auf die Richter ab.
Zugleich würden auch sehenden Auges falsche Bescheide zugestellt, wohl weil man damit rechnet, dass die Meisten der Betroffenen nicht klagen. Denn nach internen Richtlinien werden Chefs von Jobcentern dazu vergattert, 30 bis 40 Prozent der Hartz-4-Empfänger mit Sanktionen zu belegen. Diese Quote soll erbracht werden, unabhängig davon, wie sich die Arbeitslosen konkret verhalten.
17 Millionen Bescheide pro Jahr werden den fast 7 Millionen Hartz-4-Abhängigen zugeschickt. Nur gegen ein Prozent wird geklagt. Das Kalkül, mit falschen Bescheiden Geld zu sparen, geht offenbar auf.
Doch die Rechtslage selbst spricht weithin jedem Gerechtigkeitsempfinden Hohn. Klagt etwa ein Empfänger von Arbeitslosengeld I gegen seinen Bescheid und bekommt recht, so dauert das Verfahren doch meist über ein Jahr. Dann aber ist er oft schon in Hartz 4 und so wird ihm die Nachzahlung sofort wieder abgezogen. Auch wer im Jahreslohnsteuerausgleich die vom Staat zu unrecht abkassierte Steuer zurückbekommt, aber das Pech hat, inzwischen Hartz-4-abhängig zu sein, ist dieses Geld sofort wieder los. Das Gleiche gilt für verspätet ausgezahlte Lohnanteile und für Abfindungen. Hinzu kommt nicht selten ein menschenverachtender vielfach dokumentierter Umgang mit den sogenannten „Kunden“. (Aufsehen erregt hat da der Fall einer alleinerziehenden Fachhochschulabsolventin, die sich schließlich mit Prostitution durchzuschlagen versucht hat und das seelisch nicht verkraften konnte. Sie wurde zunächst per Eingliederungsvereinbarung unter Androhung von Sanktionen „zur weiteren Ausübung der Nebentätigkeit“ gezwungen. Das war offenbar kein Einzelschicksal. Denn per Durchführungsanordnung wurde „die fehlende Bereitschaft, Prostitution auszuüben“, inzwischen als „wichtiger Grund“ der Unzumutbarkeit einer Arbeit anerkannt.)
Peter Masuch, der Präsident des Bundessozialgerichtes, erklärte auf dem Forum in Berlin, Zitat: „ Die Sozialgerichtsbarkeit hat…gezeigt, dass sie … in der Lage ist, die seit 2005 steigende Verfahrensflut zu bewältigen.“ Das Motiv, mit Gebühren den Zugang zu den Sozialgerichten zu verbarrikadieren, ist offenkundig nicht eine Entlastung der Gerichte, sondern die Absicht, rechtswidrige Leistungskürzungen aufrechtzuerhalten und auf diese Weise Einsparungen durchzusetzen. Nicht der Zugang zu den Sozialgerichten muss erschwert werden. Es sind Recht und Praxis von Hartz 4 , die dringend auf den Prüfstand gehören.
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