Der Chef der amerikanischen Zentralbank spricht von Rezession. Und für Deutschland hat der Internationale Währungsfond seine Wachstumsprognose für dieses Jahr soeben auf nur noch 1,2 Prozent gesenkt. Trotz der noch immer schönen Zahlen am deutschen Arbeitsmarkt geht der Aufschwung wohl zu Ende, vernichtet von einer risikoblinden Profitgier der Banken. Der Steuerzahler blecht für deren Verluste. Doch die Hauptleidtragenden sind die Arbeitslosen. Ihre Chancen auf einen baldigen Job werden sich mit dem Abflauen der Konjunktur auflösen wie eine Fata Morgana. Die Jobcenter werden Qualifizierungen anbieten, wenn auch viel zu wenigen und leider auch immer weniger. Damit sie, wenn es wieder neue Arbeitsplätze gibt, diese auch ausfüllen können. Und damit sie sich nicht selbst aufgeben. Das ist notwendig. Doch es reicht bei weitem nicht.
Nicht nur auf einen erhofften Job hin sind die Arbeitslosen zu qualifizieren, sondern auch auf das Bestehen der Arbeitslosigkeit. Die bleibt bis auf weiteres ein Multimillionen-Schicksal in Deutschland. Die mentalen Folgen von Arbeitslosigkeit sind ausgiebig untersucht, in Forschungsprojekten von den USA bis nach Australien. Die seelischen Belastungen und ihre gesundheitlichen Konsequenzen Belastungen mindern dann oft wieder die Jobchancen. Auch europaweite Studien zeichnen ein klares Bild. Die Meisten erfahren den Sturz in die Arbeitslosigkeit als ein elementares Entwertungserlebnis. Selbstbeschuldigungen und Scham verstärken die soziale Isolierung. Fast jedem zweiten Arbeitslosen fällt es schwer, Freunden davon zu erzählen. Verloren gehen eben auch der Status, die Einbindung in die Sinn- und Zweckstruktur dieser Gesellschaft und ein sozialer Horizont, der über die Familie und den engen Freundeskreis hinausreicht. Und verloren geht oft auch das Alltagsgefüge. Schock – Pessimismus – Fatalismus – Depression – das ist oft die seelische Sequenz.
Verstärkt wird dieser Prozess noch durch Strategien von Jobcentern zur Leistungskürzung. Da gibt es die „Verfolgungsbetreuung“ – Frauen mit Kindern werden mit zeitaufwendigen Trainingsmaßnahmen in dichter Folge überzogen, bis sie aufgeben. Oder man stellt Bedürftige gezielt vor Jobangebote, die sie nicht bewältigen können. „Vertreibende Hilfe“ nennen das Experten. Denn nach internen Richtlinien werden die Chefs von Jobcentern dazu vergattert, 30 bis 40 Prozent der Hartz-4-Empfänger mit Sanktionen zu belegen. ( Diese Quote ist unabhängig vom konkreten Verhalten der Arbeitslosen.) Doch mit jeder Sanktion sinkt der Betroffene tiefer in Apathie und Depression. Aus einem lebensfrohen Vater wird oft ein reizbarer Nörgler, aus einem kommunikativen Partner ein stiller, zurückgezogener Mensch.
Existenz- und Versagensängste, Hoffnungslosigkeit und Vereinsamung schlagen sich im Gesundheitszustand nieder, in Schlaflosigkeit, in Herz- und Kreislauf-, in Magen- und Darmerkrankungen. Sie werden messbar im Cholesterinspiegel, im Blutdruck und im Immunsystem. Der Zigaretten- und Alkoholkonsum steigt. Und es wächst oft auch die Neigung, sein Restgeld an Spielautomaten zu verplempern. Dahinter steht wohl die unterbewusste Überzeugung: „Wenn ich selbst nichts mehr wert bin, so ist auch mein Geld nichts mehr wert.“ Mit diesem mentalen Verelendungsprozess und seinen körperlichen Folgen sinken wieder die Chancen, in den Arbeitsmarkt zurückzufinden.
Erforscht und vermessen ist all das vielfach. Doch Konsequenzen werden kaum gezogen. Sie würden ja auf kurze Sicht etwas kosten, wenn auch auf lange Sicht damit ein Vielfaches an Kosten vermieden würde. Notwendig ist eben ein Coaching zur mentalen Bewältigung der Arbeitslosigkeit, als Prävention gegen den Absturz in Depressivität und Lethargie. So fordert Professor Thomas Kieselbach, Chef des Instituts für Psychologie der Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit an der Universität Bremen, einen „Geleitschutz“ für Arbeitslose, der sie gegen die schädlichen Wirkungen von Arbeitslosigkeit zumindest zum Teil immunisiert. Warum händigen die Jobcenter nicht jedem schon zu Anbeginn Gutscheine aus für zwei Termine zur fachpsychologischen und Lebensberatung, nicht über 10 Minuten, sondern über eine Stunde? Man könnte dabei hinwirken auf das Beibehalten einer klaren Zeitstruktur des Alltags und auf die Einbeziehung in soziale Netzwerke, auf eine Mitarbeit in Bürgerinitiativen und Gemeinden. Man könnte die Beiträge für Sportvereine zumindest zum Teil übernehmen, könnte Hobbys stimulieren und zum Lernen anregen, von Sprachen, von Musik und Computerkompetenz, autodidaktisch und in Kursen. Man kann eine erste präventive Konfliktberatung versuchen und Gruppen von Arbeitslosen einladen zu Austausch und gegenseitiger Beratung. Und eine professionelle Beratung bei persönlichen Problemen sollte dauerhaft und deutlich angeboten werden. Gewiss, dafür haben die Jobcenter heute kaum das Personal. Doch man darf ja über da nächste Quartal hinausdenken.
Das folgenreichste Defizit in Deutschland ist der Umgang mit der Jugendarbeitslosigkeit. Sie ist hier nicht höher als bei den Älteren – im Gegensatz zum Süden Europas. Dort liegt sie bei 30 bis 40 Prozent. Doch auch gerade deshalb sind die Betroffenen hier stärker belastet und stigmatisiert als im Süden. Dort durchläuft die Mehrheit in ihrer Jugend eine Phase der Arbeitslosigkeit. Und von denen im Alter von 20 bis 25 sind fast alle noch in der Herkunftsfamilie zu hause. In Deutschland ist das nur jeder Zehnte Arbeitslose dieses Alters. Er lebt eher einsam und gehört zu einer kleineren Minderheit. Deshalb ist bei uns das Risiko der sozialen Ausgrenzung größer als anderswo in Europa. Und junge Menschen, die ihre Identität im sozialen Abseits bilden, sind kaum wieder integrierbar oder eben zu Kosten, wie sie nur in Einzelfällen erbracht werden können. Und fast nichts kommt einer Gesellschaft teurer als die Wut und die Destruktionskraft einer Minderheit von chancenlos deklassierte jungen Menschen.
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